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back to past - zurueck zu dir

back to past - zurueck zu dir

Titel: back to past - zurueck zu dir
Autoren: Sigrid Lenz
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angekommen fand er keinen Sinn in seiner Tätigkeit. Stunden vergingen quälend langsam. Er zwang sich dazu, es weiter zu versuchen, doch seine Aufmerksamkeit blieb überall hängen, nur nicht dort, wo sie verbleiben sollte. Er starrte aus dem Fenster, auf die tief hängenden Wolken, den Nieselregen, das alles dominierende Grau und fragte sich, ob so sein Leben aussah. Ob es immer so gewesen war und er nur zu abgelenkt, um es zu bemerken.
    Aber nein, instinktiv schüttelte er seinen Kopf. Es war nicht so gewesen, weit davon entfernt. Denn jetzt klaffte ein Loch in seinem Herzen, das an den Rändern mit Schmerz brannte und in seinem Inneren Verzweiflung bewahrte, die gegen ihr Gefängnis ankämpfte. Die unaufhörlich drohte auszubrechen, seinen Körper und seinen Verstand zu übernehmen. Die er nicht ewig einsperren konnte. Die jetzt bereits an allen Ecken und Enden herausquoll, ihn umschlang und würgte.
    Vielleicht war das die Strafe für seinen Hochmut. Vielleicht musste er so erfahren, dass niemand aus seiner Haut oder seiner Bestimmung entkommen konnte. Dass er sich längst einen Alpha hätte suchen sollen, der sein körperliches Bedürfnis befriedigte und seiner Seele nicht erlaubte, der Verpflichtung zu entkommen, die innerhalb einer Gesellschaft erfüllt werden sollte. Niemand entging seiner Natur. Und wenn er es doch versuchte, holte ihn früher oder später Reue ein. Wer dem biologisch notwendigen Trieb nicht folgte, versäumte es, sich zu entwickeln. War dazu verdammt, auf Irrwege zu geraten, die Lücken, die sich bildeten, nur mit Mühe und mit häufig unangenehmen Folgen und Schwierigkeiten zu schließen. Leon glaubte, seine Mutter in seinem Kopf sprechen zu hören, und er schloss die Augen und stöhnte leise.
    Wenn all das eine Frage der Natur war, dann konnte er wenigstens hoffen, dass der Schmerz eines Tages nachließ, dass er sich daran gewöhnte, oder einfach nur verrückt wurde. Wenn er es nicht längst schon war. Er spürte, dass sich sein Gesicht zu einer Grimasse verzog, dass seine Mundwinkel zuckten. Doch ob sich ein Lachen oder ein Weinen anbahnte, erkannte er nicht. Davon abgesehen lief auch diese Frage auf ein und dasselbe unbedeutende Ergebnis heraus. Er stützte den Kopf in die Hände und zog die Schultern hoch. Vielleicht halfen mehr Beruhigungsmittel. Vielleicht sollte er sich gleich eine Vorratspackung Schlaftabletten besorgen. Wenn er schlief, überstand er den Tag besser. Wenigstens erinnerte er sich daran, dass es einmal so gewesen war.
    Ein Windstoß traf das Fenster. Er hörte, wie es zitterte, leise in dem Rahmen bebte. Er hörte die Schritte, die an seinem Büro vorbeieilten. Das Klappern der Türen, den Aufzug. Etwas stimmte nicht. Sein Gehör erschien ihm empfindlicher als in seiner Erinnerung. Er lauschte auf den Staubsauger, ein Stockwerk über ihm, bemerkte das Klirren der Kaffeetassen im Konferenzraum und das Surren der Spülmaschine in der Küche. Geräusche, die er nie beachtet hatte, die unwichtig waren. Doch die plötzlich Bedeutung erhielten. Es duftete nach Kaffee, Tee, die Sandwiches, die vorbeigetragen wurden. Er roch Regen, fühlte feuchte Luft und wusste, dass im Nebenraum ein Fenster gekippt war. Seine Sinne waren gespannt, als warteten sie, als lauschten sie auf ein Ereignis, bereiteten ihn darauf vor.
    Leon rieb sich über sein Gesicht. Vermutlich warteten sie auf Marvins Rückkehr und darauf, dass der ihm die Pistole auf die Brust setzte, weil er nicht vorankam.
    „Hast du das gehört?“ Gedämpfte Stimmen drangen an sein Ohr. Das Rascheln von Papier sagte ihm, dass die Abend-Post verteilt wurde. Und mit der Post wanderte für gewöhnlich der neueste Büroklatsch durch das Gebäude.
    „Du weißt doch noch, als der Sohn vom Alten hier überall durchgeschnuppert hat. War wohl nichts für ihn. Der kommt nicht mehr wieder.“
    „Was meinst du?“
    Der Postbote schniefte und ein Stapel Papier schlug auf einen Seitentisch auf. „Ich hab gehört, dass Kanon die Abteilungsleiter zusammengerufen hat, um seinen Neffen vorzustellen. Als baldigen Nachfolger.“
    Die Stimmen verklangen. Leons Augen sprangen auf. Die Hände sanken von seinem Gesicht und er blinzelte in das Grau, das plötzlich dunkler geworden war.
    Das hatte nichts zu bedeuten, sagte er sich. Auf Gerüchte sollte niemand hören. Es konnte alles ein Missverständnis sein. Oder es existierte eine einfache Erklärung. Der Neffe fungierte vielleicht als Vertretung, bis Patrick bereit war.
    ‚Wenn er denn
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