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Azrael

Azrael

Titel: Azrael
Autoren: Heather Killough-Walden
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schwerfiel, darüber nachzudenken. Die vier Lieblingserzengel wollten ihre anderen Hälften aufspüren, die Seelengefährtinnen, die der Alte Mann für sie erschaffen hatte, ihre Sternenengel.
    Sofern das grausige Chaos, das Az jetzt zutiefst verletzte, ihm einen Hinweis auf den Verlauf dieser Suche gab, würden sie die Sternenengel wohl kaum finden, bevor sie einander nicht wiedergefunden hatten, und selbst dann vielleicht nicht.
    Doch im Moment war ihm das ziemlich egal.
    Michael knirschte mit den Zähnen, verengte die Augen und krempelte die Ärmel hoch. Als Az wie der Blitz auf ihn zustürmte, kam er ihm auf halbem Weg entgegen.
Vor elf Jahren …
    Mit zusammengebissenen Zähnen schnitt Sophie eine Gri masse, da ein heftiger Schmerz ihr Knie durchfuhr, und stand hastig auf. Die Wildblumen in ihrer rechten Hand waren noch stärker zerdrückt. Beim letzten Sturz hatten sie mehrere Blütenblätter verloren, diesmal war der Schaden irreparabel. In ihrer schwitzenden Handfläche verwelkten die Stängel der Butterblumen, Nachtviolen und Milchsterne, der zweite Sturz hatte die weißen Veilchen fast völlig vernichtet.
    Doch sie hatte keine Zeit, neue Blumen zu pflücken. Nach einem angstvollen Blick über die Schulter lief sie weiter über den Friedhof. Mit ihren vierzehn Jahren hatte Sophie viel zu lange Beine. Normalerweise sah sie wie eine Puppe auf Stelzen aus. Aber jetzt war sie dankbar für die Stelzen, die sie in Windeseile über den Green-Wood Cemetery von Brooklyn trugen, zum Grabstein und der leeren Vase, die hinter dem nächsten kleinen Hügel warteten.
    Er war dicht hinter ihr, sie hörte sein Grunzen. So schnell konnte er sich nicht bewegen, ohne zu grunzen. Wenn er rannte, machte er Geräusche, wie auch bei allen anderen Aktivitäten. Im Schlaf schnarchte er, beim Essen ächzte er, und sein Atem ging immer pfeifend, was an seinem dicken Hals und verengten Nasenhöhlen liegen musste.
    Diese Geräusche verfolgten Sophie in ihren Albträumen. Jetzt wurde sie von ihnen gewarnt. Deutlich hörte sie ihn im feuchten Nebel über den Hügeln, jedes Knirschen seiner Tennisschuhe, jedes Hmpf, Hmpf, Hmpf war eine Alarmglocke, die seine drohende Nähe ankündigte.
    Noch hundert Meter. Wie einen Magneten spürte sie das Ziel. Ihr Herz raste, ihre Augen tränten, der unebene Boden strapazierte ihre Fußgelenke, aber sie stürmte weiter. Beinahe sah sie den Grabstein. Dort würde ihre Mom warten, wie immer in einer orangefarbenen Kapuzenjacke. Auf dem Stein würde ihr Dad sitzen, lebhaft gestikulieren und mit seiner Frau reden, doch die würde nicht zuhören, weil sie nach ihrer Tochter Ausschau hielt. Immer wartete sie auf Sophie.
    Noch fünfzig Meter …
    »Sophie! Komm zurück, verdammtes kleines Biest!« Die Stimme ihres Verfolgers zerschnitt den Nebel und die Erinnerungen wie eine Kettensäge, die durch Fleisch glitt. Brutal, atemlos, grausam. Der Ruf klang so wütend wie nie zuvor. »Ich schwöre bei Gott, ich bringe dich um, du Miststück!« Am Fuß des Hügels hörte sie ihn im feuchten Gras ausrutschen und rannte schneller.
    Noch dreißig Meter, und schon lugte der Grabstein durch wirbelnde Nebelschwaden wie ein Leitstern. Obendrauf lagen mehrere kleine Steine, die Sophie bei ihren letzten Besuchen zurückgelassen hatte.
    »Halt!«, brüllte er. Mit jedem weiteren Schritt, zu dem er gezwungen wurde, wuchs sein Zorn.
    Aber sie blieb nicht stehen, denn ihre Mutter wartete.
    Da war sie, in ihrer Lieblingsfarbe. Warmherzig lächelte sie Sophie an, die tränenüberströmt vor dem Monster floh, die Jeans zerrissen, die Knie blutig. Da war sie und winkte ihr zum Gruß, das karamellfarbene Haar schimmerte im Sonnenlicht, das aus dem Nirgendwo kam.
    Sophie rief nach ihr und wünschte, ihre Mom würde es hören und wissen, wie sehr sie sich bemüht hatte. Vor den Füßen der Mutter ragte der Metallrand der Vase lockend aus dem Nebel.
    Doch das Monstrum kam immer näher, und die Mutter schien nichts zu hören. Viel zu dicht hinter Sophie knirschte es. Hmpf, Hmpf, Hmpf …
    Nein!
    An ihrem Rücken riss das Hemd, der Kragen würgte sie fast bis zur Ohnmacht, als der Pflegevater sie packte und zu sich herumriss. Beide fielen zu Boden, Sophie landete auf ihrem Arm und zerquetschte den letzten Rest der Wildblumen, die sie für den Geburtstag ihrer Mom gepflückt hatte. Fast hätte sie laut geschrien, aber sie hatte längst gelernt, vor diesem Raubtier keine Schwäche zu zeigen.
    Niemals durfte man es Blut wittern lassen.
    »Was
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