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Azrael

Azrael

Titel: Azrael
Autoren: Heather Killough-Walden
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– die Vision von dem Ehering, den er auf ihren Finger streifte … Das hatte er nicht geplant, sondern es sich einfach nur selbst vorgestellt. Aber er war in ihrem Kopf gewesen, hingerissen von ihrer Persönlichkeit, und sie hatte das Bild prompt aufgeschnappt.
    Ihr Herz war fast stehen geblieben, ihre Wangen hatten sich gerötet. Vom plötzlich schnelleren Blutstrom erfüllt, waren ihre Lippen voller geworden. Glasige Augen, stockender Atem … Und Az hatte auf der Hochzeit seines Bruders einen Teil seines Verstandes verloren.
    So hatte er sich noch nie gefühlt. Nicht in seinen zweitausend Jahren auf der Erde, nicht in den vielen Tausend Jahren im Engelreich. Noch nie hatte er dermaßen die Kontrolle verloren. Irgendwie gewann er den Eindruck, er wäre an einer Grippe erkrankt. Aber Vampire bekamen keine Grippe. Erzengel auch nicht. Und der Todesengel schon gar nicht.
    Azrael fluchte leise. Unter seiner Handfläche zersprang der Spiegel, Splitter schnitten in seine Haut. Er blinzelte und trat langsam zurück, drehte seine Hand um und starrte eine hervorquellende rote Linie an. Mit seinem Blick schloss er die Wunde. Dann musterte er wieder den Spiegel und sah die Konsequenz seiner Wut. Ein Blitz hatte das Glas zertrümmert, ein Effekt des Gewittersturms, der in ihm tobte und sich so entladen hatte. Reiß dich zusammen, ermahnte er sich streng. Immerhin war er der mächtigste Vampir auf Erden. Wenn er seine Emotionen nicht kontrollieren konnte, würden sie mit unglaublich zerstörerischer Kraft hervorbrechen.
    Nun musste er nachdenken, einen Plan schmieden. Sophie Bryce war kaum zweihundert Meter weit weg, ein wandelnder, sprechender Sonnenstrahl, der ihm zu entgleiten drohte.
    Im Waschraum der Männertoilette begannen die Lampen zu flackern, die Schatten in den Ecken wurden länger. Die Temperatur sank, in der Ferne grollte Donner, und Az fluchte wieder, denn er kämpfte auf verlorenem Posten. Der geborstene Spiegel reflektierte einen großen, breitschultrigen Mann, in stygisches Schwarz gekleidet. Dunkles Haar umrahmte sein wunderschönes, viel zu bleiches Gesicht mit den zu hellen Augen.
    Und den zu langen Reißzähnen.
    Mühsam zwang er seine Fänge, sich etwas zu verkleinern. Vollends loswerden konnte er sie nicht, seine Eckzähne würden immer etwas spitzer und länger sein als die menschlichen. Aber wenn er sich konzentrierte, schaffte er es, dass sie passabel aussahen – eine erlernte Vampirfähigkeit. Neue Vampire mussten das üben, und manchmal dauerte es Jahre, bis sie’s hinkriegten.
    Das wusste Az nur zu gut. Als er vor zweitausend Jahren zusammen mit seinen Brüdern ihre Heimat verlassen hatte, um fortan auf der Erde zu leben, war etwas mit ihm geschehen. Nach Michaels Theorie hatten die Aktivitäten des Todesengels dessen Menschengestalt irgendwie negativ beeinflusst. Im Gegensatz zu seinen Brüdern war Azrael in ein übernatürliches Monstrum verwandelt worden.
    Damals hatte es noch keinen Namen für seine neue Wesensart gegeben. Die Reißzähne, der fast unstillbare Durst nach Blut, die tödliche Abneigung gegen die Sonne – diese Symptome hatten nicht existiert, bis Azrael auf der Erde gelandet war, der erste Vampir. So hatte er sich selbst genannt, weil es ihm passend erschienen war.
    Mehrere Monate hatte er gebraucht, um den Durst zu kontrollieren. Eine sehr schmerzliche Phase. Seither vergaß er niemals die Qualen, die seine Seele zerrissen hatten. Und jetzt dankte er jede Nacht, wenn er mit den Sternen erwachte, seinem Schicksal, weil er nicht mehr litt. Den Blutdurst musste er immer noch stillen. Um zu überleben, brauchte ein Vampir in allen Nächten ein gewisses Quantum an Menschenblut. Aber er akzeptierte das Bedürfnis als ein Merkmal seiner Physiologie, schätzte sich glücklich und hielt es nie für selbstverständlich, dass er der grausigen Gier seiner ersten Vampirzeiten entronnen war.
    Doch in dieser Nacht …
    Während er im Waschraum der Männertoilette vor den Mauern des Schlosses stand, wurde er von einer beklemmenden Angst erfasst, die sein Gehirn zu benebeln drohte. Denn er spürte ihn wieder, diesen triebhaften Durst, der alle klaren Gedanken und vernünftigen Wünsche verdrängte und totalen Gehorsam forderte. Und diesmal steuerte die Gier ein ganz bestimmtes Ziel an.
    Wie ein Wahnsinniger dürstete und hungerte er nach Sophie Bryce. Seinem Sternenengel.

2
    »Hey, Az? Bist du da drin?«
    Azrael blickte vom Waschbecken auf. Mit gefährlicher Kraft umklammerte er das
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