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Azrael

Azrael

Titel: Azrael
Autoren: Heather Killough-Walden
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Porzellan. Michael betrat die Toilette und verlangsamte seine Schritte, als er die gebeugte Gestalt seines Bruders sah, die rote Glut in den goldfarbenen Augen. »Alles okay?«, fragte er vorsichtig.
    Zum ersten Mal seit einer halben Ewigkeit wusste Azrael nichts zu sagen. Was sollte er antworten? War mit ihm alles okay? Nein, ganz und gar nicht. Er richtete sich auf und fuhr mit der Zunge über seine Zähne. Wenigstens die waren okay. »Alles in Ordnung.«
    »Du siehst hungrig aus.«
    Darauf ging Azrael sofort ein. »Das bin ich auch.« Gewiss keine Lüge …
    »Hast du dich heute Nacht noch nicht genährt?« Der blonde Erzengel runzelte die Stirn. Auch ohne Michaels Gedanken zu lesen, wusste Azrael, was sein Bruder ihm verübelte. Dies war Gabriels Hochzeit, ein großes Ereignis. Also hätte Az seine Mahlzeit vorher zu sich nehmen sollen. Das stimmte. Und er hatte es ja auch getan, allerdings nicht vorausgesehen, dass die Brautjungfer sein Sternenengel war.
    »Wahrscheinlich war’s nicht genug«, erklärte er schlicht, seine Stimme melodisch wie eh und je, aber mit scharfem Unterton.
    Michael starrte ihn prüfend an, und Az setzte eine neutrale Miene auf. Schon immer war Mike mehr oder weniger der Anführer seiner Brüder gewesen, mit gutem Grund. Für diese Rolle eignete er sich wegen seiner Einfühlungsgabe, und er musste Azraels Gedanken nicht lesen, um die Lüge zu erkennen. »Warum sagst du’s mir nicht?«, fragte er sanft.
    Nach einem langsamen, tiefen Atemzug schaute Azrael wieder in den Spiegel. Jetzt könnte er reinen Tisch machen und Michael von Sophie erzählen. Aber er tat es nicht. Dafür gab es tausend Gründe.
    Michael war der absolute Liebling des Alten Mannes gewesen. Darin lag der Kernpunkt des Zwists zwischen den Brüdern und Samael, dem Erzengel, mit dem es ständig Ärger gab. Unwissentlich hatte Mike diesen besonderen Thron usurpiert. Und trotzdem war er wider alle Logik der Letzte, der seinen Sternenengel finden würde. Warum? Wenn Az ihn über Sophie informierte, würde Michael überlegen, ob er etwas falsch gemacht hatte. Wieso war er beim Alten Mann in Ungnade gefallen?
    Danach würde er fragen und keine Antwort bekommen. Seit die vier Erzengel auf der Erde gelandet waren, standen sie – unfreiwillig – nicht mehr in Verbindung mit dem Alten Mann. Deshalb würde Mike sich den Kopf zerbrechen, und das könnte ihn in den Wahnsinn treiben. Die Situation war schon unangenehm genug. Und Az wollte seinem Bruder zusätzliche Qualen ersparen.
    Sonst würde Michael nervös und zerstreut sein. Derzeit war der einstige Krieger als Cop beim New York Police Department tätig und verständlicherweise der beste Officer in diesem Revier. Ganz allein verhinderte er mehr Morde, Totschläge und Vergewaltigungen als alle seine Kollegen zusammen. Wenn er plötzlich abgelenkt würde, wäre das gar nicht gut. Wie viele Menschen müssten darunter leiden?
    Andererseits … Nur wegen der Sternenengel waren die vier Erzengel auf die Erde gekommen. Um ihre Seelengefährtinnen zu finden, nicht zum Wohl der Menschheit. Welche Grenze sollten sie also zwischen ihren eigenen Interessen und ihrem Verantwortungsbewusstsein ziehen?
    Aber Michaels vorerst unauffindbarer Sternenengel war keineswegs der einzige Grund, warum Az seinem Bruder nichts über Sophie erzählte. Vor dem Traualtar, neben dem Brautpaar, hatte er ihr gegenübergestanden, nur wenige Schritte von ihr entfernt, und sich nach ihrer Nähe gesehnt.
    Er hatte nicht vortreten können, um sie zu berühren, zu küssen, in seine Arme zu ziehen, mit ihr in den Himmel zu fliegen. Also hatte er sich damit begnügt, ihre Gedanken zu erforschen, und sofort den bemerkenswerten Unterschied zwischen ihrem Geist und den Gehirnen anderer Menschen erkannt. Der Geist eines Sternenengels war komplex und strahlend hell, als wäre ein Labyrinth voller Spekulationen und Möglichkeiten von Millionen Lichtwellenleitern durchdrungen. Natürlich ließen sich die Spatzenhirne gewöhnlicher Menschen leicht ergründen. Aber es erforderte höchste Konzentration, den Geist eines Sternenengels zu analysieren.
    Und Sophie besaß ein noch komplexeres Gehirn als die beiden anderen Sternenengel. Warum, hatte Azrael anfangs nicht begriffen und einfach nur dieses vielfach verschlungene Netzwerk bestaunt. Doch während er so dastand, die Stimme des Priesters ausblendete und sich nur noch auf Sophie einstellte, hatte er das Rätsel gelöst.
    Ihre oberflächlichen Gedanken weckten ganz neue
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