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Azrael

Azrael

Titel: Azrael
Autoren: Heather Killough-Walden
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bildest du dir denn ein? Dir werd ich’s zeigen …« Er sprang auf und zog sie hoch, ehe sie durch die Sterne, die vor ihren Augen tanzten, etwas sehen konnte. »Widerliches kleines Aas! Nur Ärger machst du mir. Einen Dreck bist du wert!«
    Unbarmherzig grub er seine Finger in ihren Arm und zerrte sie über den Friedhof zurück. Sie ignorierte den Schmerz und wandte ihren Kopf zu dem wartenden Grab. Jetzt war die Mutter verschwunden. Zum ersten Mal seit acht Jahren leuchtete kein Orange über dem Stein. So leer und einsam sah das Grab aus.
    Die Nebelschleier färbten sich rot und hüllten den Friedhof in feurige Schatten. »Nein!«, schrie Sophie und erkannte nicht einmal ihre eigene Stimme. Ehe ihr bewusst wurde, was sie tat, riss sie sich von ihrem Pflegevater los, seine schmutzigen Fingernägel zerkratzten ihren Oberarm, und sie stolperte rückwärts. »Nein!«, kreischte sie noch einmal. In ihrem Blut kochte heller Zorn und tauchte die Landschaft in Scharlachrot. »Geh weg!« Unkontrollierbar zitterte sie vor Wut und trat noch weiter zurück.
    Ihre Mom war verschwunden, Sophie hatte die Blumen verloren, und am Geburtstag ihrer Mutter stand die Vase leer.
    Mit großen Augen starrte Alan Harvey sie an. Über sein unrasiertes Gesicht flackerte etwas Seltsames. Vielleicht Verblüffung, vielleicht etwas anderes. Sein Blick streifte ihren Hals, dann ihre nackte weiße Schulter, wo er ihr das Hemd zerrissen hatte. »Was, du kleine Schlampe?«, zischte er. Jetzt klang seine Stimme anders, tiefer und heiser vor einer Erregung, die Sophie den Magen umdrehte. »Willst du mit mir kämpfen?«
    Entsetzen lähmte ihre Beine, das Herz hämmerte ihr in den Ohren, ein eisiges Grauen drohte sie zu überwältigen. Sie war ganz allein mit ihm in diesem verlassenen Teil des Friedhofs. Offenbar hatte sie ihn zu sehr erzürnt. Ihr Blickfeld verengte sich, Harvey machte einen Schritt auf sie zu. Nun würde er sie hier draußen vergewaltigen und töten. Um ihre Leiche zu verscharren, würde er es nicht allzu weit haben. Ich werde sterben, dachte sie, das war’s.
    Als er sich auf sie warf, war sie zu benommen, zu schwach vor Angst, um ihm rechtzeitig auszuweichen. Sie spürte den Aufprall, den Schmerz und dass sie stürzte. Unter ihr klirrte etwas, die Ecke einer Gedenktafel bohrte sich in ihre Hüfte.
    Harvey krallte seine Finger in den Hosenbund ihrer Jeans – und plötzlich agierte Sophies vierzehnjähriger Körper aus eigenem Antrieb. Ihr Bein schwang hoch, wie von einer fremden Macht kontrolliert. Hart und fest rammte sich ihr aufgeschürftes, blutiges Knie zwischen die Schenkel ihres Angreifers. Doch das genügte nicht, um ihn abzuschütteln. Grunzend begrapschte er sie. Immer grunzte er. Und er war so schwer. Ihre Handgelenke drehten sich, ihre Fingernägel gruben sich in seine Haut, ihre Fäuste schlugen nach ihm. Als er sie ohrfeigte, empfand sie keinen Schmerz. Sie hörte nur ein Klatschen, ihr Kopf ruckte seitwärts, und ihre Zunge schmeckte etwas Warmes, Metallisches. Verbissen kämpfte sie um ihr Leben.
    Schließlich stießen ihre rechten Fingerknöchel gegen etwas Hartes, Kaltes. Metall. Was das war, erkannte sie sofort. Harveys Revolver. Woher er den hatte, wusste sie nicht. Aber er liebte es, die Waffe hervorzuholen und zu reinigen, zu laden und zu entladen, und er trug sie stets, in seinen Hosenbund gesteckt, mit sich herum.
    So wie jetzt. Zwischen seinem schwammigen Bauch und den Jeans steckte sie. Sophie schlang ihre tauben Finger um den Revolver und zwang sich, ihn fest zu umklammern. Dann zog sie an ihm und spürte, wie der Hahn in Harveys Fleisch schnitt.
    Als dieser merkte, was sie tat, und ihr die Waffe zu entwinden suchte, beschloss sie, es darauf ankommen zu lassen. Alles war besser, als vergewaltigt zu werden. Und wenn sich der Lauf auf sie richtete, sollte es eben so sein.
    Sophie drückte ab.

1
Gegenwart
    Er ist ein Erzengel, sagte sie sich energisch und versuchte mit aller Macht, nicht so nervös zu sein, hier, vor dem Altar inmitten der Ruinen von Slains Castle in Schottland. Neben dem Bräutigam Gabriel stand Azrael, ihrer Meinung nach der Inbegriff eines Traummannes. Unglaublich groß und imposant gebaut, trug er einen maßgeschneiderten nachtschwarzen Anzug, der seine außergewöhnliche Gestalt perfekt zur Geltung brachte. In sanften Wellen fiel das dunkle Haar auf seine Schultern, und es juckte sie in den Fingerspitzen, es zu berühren. Seine helle Haut wirkte fast durchscheinend. In seinem teuren
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