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AZRAEL

AZRAEL

Titel: AZRAEL
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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hineingeheimniste.
    »Worüber du willst«, antwortete er.
    Das Mädchen überlegte einen Moment, dann sagte es: »Über uns?«
    Artner erstarrte. Ein unsichtbarer Kübel mit Eiswasser ergoß sich über seinen Rücken, und sein Herz schlug plötzlich hart und so ruckartig, als müsse es jedesmal gegen einen enormen Widerstand ankämpfen. »Über uns? Was... was meinst du damit?«
    Sie antwortete nicht gleich. Nicht laut. Aber zum ersten Mal, seit Artner Claudia kannte, wünschte er sich fast, ihr Blick wäre so leer und erloschen, wie er es sein sollte, denn er las die Antwort auf seine Frage überdeutlich in ihren Augen. »Aber das weißt du doch genau«, sagte sie schließlich. »Du kannst es nicht vergessen haben. Es war so schön, und du hast
    gesagt - «
    Artner erinnerte sich im letzten Moment des Pflegers, der in seinem Wachraum auf der anderen Seite des Ganges saß und vermutlich den Teufel getan und das Mikrophon ausgeschaltet hatte, sondern mit großen Ohren lauschte und mit noch größeren Augen zusah. Er unterbrach sie hastig: »Aber du hast doch gerade selbst gesagt, daß du mich gar nicht kennst. Erinnerst du dich denn an irgend etwas? Etwas, das mit mir zu tun hat - oder mit dir?« Er sprach langsam und
    wählte seine Worte mit großem Bedacht. Selbst, wenn der Pfleger nicht lauschte, würde trotzdem jedes Wort auf Band aufgezeichnet, und auch wenn er die Kassette spätestens heute abend löschen würde: Man konnte nie wissen, wer sich daran zu schaffen machte.
    Claudia lachte. »Das ist ein Spiel, nicht wahr?« fragte sie. »Ich verstehe. Du willst mich auf die Probe stellen. Du glaubst, ich hätte dich vergessen, nicht wahr? Aber das habe
    ich nicht.«
    Armer schluckte schwer. Er hätte sie mit einigen wenigen Worten zum Schweigen bringen können, und alles in ihm schrie danach, es zu tun. Er wußte, wie empfindlich sie war, und er wußte noch sehr viel besser, womit er sie verletzen konnte. Aber er brachte es einfach nicht über sich. Auch wenn das, was sie sagen mochte, das Ende seiner Karriere bedeuten konnte - oder doch zumindest den Anfang von sehr, sehr viel Ärger -, er konnte ihr nicht weh tun. Dazu war sie einfach zu verwundbar. Ihre Verletzlichkeit war ihre stärkste Waffe, und sein Wissen darum, daß sie diese Waffe niemals bewußt einsetzte, machte es nur noch schlimmer.
    Und es gab noch einen Aspekt: Vor allem anderen war Artner auch in diesem Moment Wissenschaftler und Arzt. Besonders Arzt. Und er hätte schon blind und taub sein müssen, um nicht zu begreifen, daß er Zeuge einer wirklich dramatischen Veränderung wurde. Sein Erschrecken wich einer ebenso heftigen wie kaum noch beherrschbaren Erregung. Hatte er noch vor ein paar Sekunden selbst gedacht, daß er nicht an Wunder glaubte? Er erlebte gerade eines!
    »Ein Spiel? Ja, warum eigentlich nicht? Spielen wir ein Spiel - was hältst du davon?« Er streckte die Hand in ihre Richtung aus, berührte sie aber nicht, sondern machte eine flatternde, auffordernde Geste mit den Fingern; eine Bewegung, mit der man einen jungen Hund oder eine Katze zum Spielen herausgefordert hätte. »Wir tun einfach so, als ob ich alles vergessen hätte, und du sagst mir, woran du dich zu erinnern glaubst. nd danach sage ich dir, was davon stimmt und was nicht. Einverstanden?«
    »Aber das ist doch albern«, antwortete Claudia. »Du mußt dich doch erinnern - an den Tag, an dem du hier heruntergekommen bist und der Pfleger über seinem Kriminalroman eingeschlafen war. Du hast die Monitore abgeschaltet und bist dann hierhergekommen.«
    Diesmal war es kein Eimer mit Eiswasser, sondern ein ganzer Tankzug. Das konnte sie nicht wissen. Er hatte es ihr nicht erzählt. »Woher... weißt du das?« fragte er. Seine Stimme klang belegt und schien einem Fremden zu gehören. Was ging hier vor? Was ging hier vor?
    »Er hat es mir gesagt«, antwortete Claudia.
    »Er? Von wem sprichst du?« Aber plötzlich wußte er es. Mit einem Mal ergab alles einen Sinn. Die anzüglichen Blicke, die plumpen Vertraulichkeiten - hatte er wirklich geglaubt, damit durchzukommen? Es war weiß Gott nicht das erste Mal, daß intellektuelle Intelligenz gegen Bauernschläue angetreten war und den kürzeren gezogen hatte. »Der Pfleger«, sagte er resignierend. »Er hat alles gesehen. Er hat es dir gesagt. Ich frage mich nur, warum. Was wollen Sie? Geld? Oder einen Freibrief, in Zukunft zu tun oder zu lassen, was immer Sie wollen?«
    Die letzten Sätze hatte er lauter gesprochen, und sie galten
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