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AZRAEL

AZRAEL

Titel: AZRAEL
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Feind, die Pein, wirklich besiegt - oder vielleicht vielmehr nur dafür gesorgt hatten, daß sie die Schreie der Gequälten nicht mehr hörten.
    Der Aufzug hielt mit einem kaum spürbaren Ruck an, und Artner zwängte sich schräg gehend durch die Tür, deren Hälften wie üblich mit enervierender Langsamkeit auseinanderglitten. Das taten sie nur hier unten, und der Mechaniker der Aufzugsfirma hatte es schon vor drei Jahren aufgegeben, nach der Ursache dafür suchen zu wollen. Artner kannte sie. Es war der gleiche Grund, weswegen es hier unten immer ein wenig muffig roch und feucht war, weswegen die Wände, obwohl in freundlichen Pastelltönen gestrichen, trotzdem nichts anderes als ein finsteres Gewölbe waren, und weswegen es hier niemals richtig hell wurde, allen Neonbatterien und Halogenstrahlern zum Hohn. Dieser spezielle Trakt lag anderthalb Stockwerke unter den Kellern und zweieinhalb Stockwerke unter der Straße, und heute wie damals war es ein Ort, an dem weder die Zeit noch irgend etwas, was Menschen taten, wirklich zählte. Heute wie damals enthielt er einige wenige Räume, die den allersichersten Teil dieses Gebäudes darstellten: jene Zellen, in denen die Hoffnungslosen untergebracht waren, die Unheilbaren und gefährlich Gewalttätigen, denen man nur eine einzige Hilfe angedeihen lassen konnte; eine Hilfe, die darin bestand, sie vor sich selbst und davor zu schützen, anderen Schaden zuzufügen. Hier wurden ihm die Grenzen seines Könnens vor Augen geführt, vielleicht die absolute Grenze, die niemals überschritten werden konnte - vielleicht auch nicht sollte.
    Auch das war etwas, das Artner niemals laut eingestanden hätte, aber er wußte, daß es jene Schwelle gab, an der jedes ärztliche Können scheiterte, vor der jede Chemie kapitulierte und hinter der das Wissen nichts mehr zählte. Eine Grenze, hinter d er der Geist verloren war und die sich nur in eine Richtung überschreiten ließ: hinein in ein Gefängnis, dessen Mauern aus Furcht und dessen Ketten aus Grauen bestanden, und dessen Fenster groß und ohne Gitter waren und direkt in die tiefsten Abgründe der Hölle führten. Seit einem halben Jahrtausend lag hier unten die Schwelle zu jenem Grenzbereich, und so hatte dieser Ort vielleicht einfach zuviel Qual gesehen, um noch irgend etwas anderes zurückgeben zu können.
    Deshalb war es für Artner >das Haus der Pein<. Nicht mehr und nicht weniger, und es würde sich nie ändern.
    Er hatte die Sicherheitstür erreicht, zog seine Codekarte aus der Brusttasche und schob sie in den dafür vorgesehenen Schlitz, ohne auch nur hinzusehen. Die Tür öffnete sich mit einem leisen Summen, und Artner trat hindurch. Später, wenn er den Sicherheitstrakt in umgekehrter Richtung wieder verließ, würde er eine sechsstellige Codenummer eingeben und sich zudem dem mißtrauischen Auge einer Videokamera stellen müssen, um die Tür erneut zu öffnen. In gewisser Weise ähnelte der Hochsicherheitstrakt dem zweiten, inneren Gefängnis, in dem die Egos seiner Bewohner gefangen waren - man kam relativ leicht hinein, aber nur sehr schwer wieder hinaus.
    Sein Blick glitt automatisch über die Türen, die den schmalen Gang mit der gewölbten Decke flankierten, fünf auf der rechten, vier auf der linken Seite, in unterschiedlichen, angenehm anzuschauenden Farben gestrichen und scheinbar nicht mehr als normale Zimmertüren, an denen es sogar Griffe gab - die sich allerdings nicht so ohne weiteres niederdrücken ließen. Nur einem sehr aufmerksamen Beobachter wäre vielleicht aufgefallen, daß diese Türen aus massivem, drei Zentimeter dickem Stahl bestanden, die Bolzen in den Angeln verschweißt waren - und neben jeder ein kleiner Videomonitor flimmerte, der das Bild einer Weitwinkelkamera auf der anderen Seite zeigte. Der tote Winkel wäre nicht einmal groß genug gewesen, eine Katze zu verbergen.
    Artner passierte vier Türen und öffnete die letzte Tür auf der rechten Seite des Ganges. Dahinter lag ein kleines, fensterloses Büro, dessen nicht eben billige Einrichtung vergeblich versuchte, einen behaglichen Eindruck zu vermitteln, und das von einem knappen Dutzend kleiner Halogenlampen in schon beinahe übertriebene Helligkeit getaucht wurde. In der Wand neben der Tür flimmerten die Zwillinge der Überwachungsmonitore draußen im Gang, und ein weiterer, etwas größerer Schirm zeigte den Gang selbst. In regelmäßigen Abständen schaltete das Bild um und zeigte die Hälfte des Korridors, die vor der Sicherheitstür
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