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Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst

Titel: Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst
Autoren: Dror Mishani
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versteinert. Um sie herum surrten und klickten Kameras, und die goldene Kuppel des Felsendoms glühte in der Hitze. Avraham wurde immer stiller, und Marianka versuchte, ihn zu trösten. Schon bevor ihr Flugzeug gestartet war, drängte sich die Entfernung zwischen sie.
    Sie deutete auf die Altstadt. »Weißt du, dass durch dieses Tor eines Tages der Messias nach Jerusalem einziehen wird?«
    »Zweifelsfrei.«
    »Du machst dich lustig, nicht wahr? Die Juden glauben doch auch, dass die Auferstehung der Toten am Ölberg beginnen wird.« Sie wurde ernst. »Ich meine, dass hier der Prophet Elias ins Widderhorn stoßen wird, um die Ankunft des Messias zu verkünden.«
    Er entgegnete: »Ich glaube nicht, dass man ihn bis nach Cholon hören wird. Aber woher weißt du das alles überhaupt?«
    »Von meinem Vater. Er hat mir nicht nur Karate beigebracht.«
    Dann schwiegen sie lange, bis Avraham seinen Schmerz nicht länger verbergen konnte und sagte: »Am schlimmsten ist, dass ich manchmal denke, es ist gut, dass er tot ist. Ich bin so wütend auf ihn, ohne ihn überhaupt gekannt zu haben.«
    »Wütend auf wen?«
    »Auf Ofer. Der Junge, der vermisst wurde. Den wir gesucht haben.«
    Und zum ersten Mal, seit er in jener Nacht das Revier verlassen hatte, sprach er über die Ereignisse. Erzählte ihr von der Vernehmung Hannah Sharabis, von ihrer Weigerung, etwas zu sagen, der sturen Weigerung zu gestehen, was in Danits Zimmer geschehen war, hinter der Tür, die ihm verschlossen geblieben war. Denn das war der Grund, warum sie von Anfang an die Tochter vor ihm versteckt hatten. »Ich bin wirklich so wütend, dass ich ein paarmal gedacht habe, es ist gut, dass er so und nicht anders gestorben ist. Und der Gedanke erschreckt mich.«
    Marianka löste ihre Hand aus der seinen. »Ich verstehe nicht, warum du dir so sicher bist, dass er sich an ihr vergangen hat«, sagte sie, während er sich eine Zigarette ansteckte. »Ich glaube nicht, dass es so gewesen ist.«
    Aber das war keine Frage des Glaubens.
    »Avi, hörst du mich? Ich kann nicht verstehen, warum du dich entschieden hast, dem Vater zu glauben und nicht der Mutter. Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass sie vielleicht nicht gelogen hat? Dass sie den Jungen in seinem Zimmer gefunden hat, so wie sie gesagt hat? Dass Ofer seine Schwester nicht missbraucht hat?«
    Er sah sie mit leerem Blick an. »Was soll das heißen?«, fragte er.
    »Dass Ofers Vater gelogen hat. Er hatte schließlich allen Grund, das zu tun. Es versteht sich doch von selbst, dass die Geschichte, die er euch über Ofer und seine Schwester erzählt hat, das Strafmaß beeinflussen wird, oder?«
    »Ja. Und zu Recht, findest du nicht?«
    »Also stimmst du mir zu: Wenn der Streit zwischen ihnen wegen irgendeiner anderen Sache ausgebrochen wäre, würdet ihr ihn anders behandeln, richtig? Und was ist, wenn er sich das Ganze nur ausgedacht hat, um sich ein nachvollziehbares Motiv und mildernde Umstände zu verschaffen, und ihr habt seine Geschichte gekauft, anstatt auf das zu hören, was die Mutter versucht hat, euch zu sagen?«
    Schärfstein war überzeugt gewesen, dass Rafael Sharabi zusammengebrochen war und die Wahrheit gesagt hatte, während Hannah Sharabi unbeirrt weiter gelogen hätte. Und alle hatten seine Position übernommen.
    Marianka fuhr fort: »Ich sage dir, ich glaube nicht, dass die Mutter gelogen hat. Ofers Mutter hat dir die Wahrheit gesagt. Ihr habt doch inzwischen rausgekriegt, dass sie auch nicht gelogen hat, als sie angegeben hat, sie sei nach ihrem Mann nach Hause gekommen. Und habt ihr nicht einmal darüber nachgedacht, weshalb der Vater vorzeitig nach Hause gegangen ist? Das ist nur eine Vermutung, aber vielleicht war er es, der sich an seiner Tochter vergangen hat? Vielleicht hat er gedacht, Ofer würde schlafen, und ist in ihr Zimmer gegangen, aber Ofer war wach oder ist aufgewacht, weil er von dort Lärm gehört hat, und dann hat er ihn überrascht. Das würde nicht nur erklären, warum der Vater ihn umgebracht hat, sondern auch, warum es ihm so wichtig war, alles zu vertuschen. Sich die Geschichte von Ofers Verschwinden auszudenken. Ist euch nie der Gedanke gekommen, dass Ofer vielleicht nur versucht hat, seine Schwester zu beschützen?«
    Ihre Worte erschütterten ihn. Hannah Sharabi hatte ihm im Verhör gesagt: »Ich werde meinen Kindern nichts antun, egal, wer das von mir verlangt.« Und Ilana hatte ihm geschildert, wie der Vater bei der Rekonstruktion des Tathergangs Maalul erst an die eine
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