Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst

Titel: Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst
Autoren: Dror Mishani
Vom Netzwerk:
großen Bogen darum herum. Auf dem Rückweg zu seiner Wohnung kamen sie am Haus seiner Eltern vorüber.
    »Wann treffe ich sie denn einmal?«, fragte sie.
    Avraham erwiderte: »Sie kommen zur Hochzeit, dann wirst du sie schon kennenlernen.«
    Alles war sonderbar und anders, als wären sie noch immer in den Straßen von Brüssel unterwegs. Sie sprachen Englisch, und Avraham dachte, dass er in der Stadt, in der er geboren war und in der er fast sein ganzes Leben verbracht hatte, zum ersten Mal in einer fremden Sprache redete.
    »Was ist mit Gjiom passiert?«, fragte er.
    »Nichts Besonderes. Ich wusste nach zwei Wochen schon, dass ich nicht in ihn verliebt bin, habe es aber nicht geschafft, der Sache ein Ende zu machen. Es ist schon das zweite Mal, dass ich den Fehler gemacht habe, eine Beziehung mit einem Kollegen einzugehen.«
    »Und wie hat er reagiert?«
    Sie lächelte. »Er war nicht in mich verliebt. Ich glaube, insgeheim liebt er Elise, Jean-Marcs Frau.«
    Das war nachvollziehbar.
    Als Avraham vor der Haustür in seiner Tasche nach den Schlüsseln suchte, sagte Marianka plötzlich: »Ich habe dich deshalb nicht nach der Ermittlung gefragt, weil ich das Gefühl hatte, du willst es nicht. Wenn du darüber reden kannst, was passiert ist und wie es dir damit geht, denk daran, dass ich gern zuhöre.«
    Sie aßen Tomaten und orangerote Paprika, Mango und Wassermelone auf dicken Weißbrotscheiben, denn das war alles, was er im Haus hatte. Und sie sahen ein bisschen fern, da Marianka gern Hebräisch hören wollte. Danach machten sie Pläne für den weiteren Verlauf der Woche. Kurz nach zehn ging Marianka duschen und kam im Pyjama wieder aus dem Bad. Sie küsste ihn auf die Wange, wünschte ihm eine gute Nacht und ging in ihr Zimmer. Er spülte in der Küche das Geschirr ab, und als er zurück ins Wohnzimmer ging, um noch ein Buch zu lesen, was er schon seit vielen Wochen nicht mehr getan hatte, kam Marianka wieder und setzte sich neben ihn. Sie zog die Beine an und stellte ihre nackten Füße auf die Sofakante. »Kann ich ein bisschen an dich ranrücken?«, fragte sie.
    Sein Herz pochte vor Aufregung, als er sagte: »Ja.«
    Irgendwann begann dieser wundervolle Kampf zwischen ihnen, auch wenn er nicht immer verstand, was sie von ihm wollte. Mal entzog sie sich ihm, legte ihm einen Finger auf die Lippen und bat ihn innezuhalten. Und dann spürte er wieder, wie sie ihn zu sich heranzog. Er schlug vor, ins Schlafzimmer umzuziehen, aber sie wollte im Wohnzimmer bleiben. Und bat ihn, das Licht auszuschalten. In der Dunkelheit suchte sie seinen Blick, auch wenn er die Augen geschlossen hatte. Er wollte sie offen halten, um die Hände sehen zu können, die ihn berührten, den Körper, den seine Arme umfingen. Doch nicht immer schaffte er es, weil er nicht glauben konnte, dass ihm ein solches Wunder widerfuhr.
    Nackt im dunklen Wohnzimmer hörten sie David Bowies »Absolute Beginners«.
    »Damit eines klar ist: Ich werde im Gästezimmer schlafen«, sagte Marianka, und Avraham begriff nicht, dass sie es ernst meinte.
    »Ich will mich nicht beklagen, aber warum hast du das dann gemacht?«, fragte er.
    »Weil ich es unbedingt wollte, und weil es verboten ist. Jetzt ist das Zusammensein noch leichter für uns als vorher. Dabei war es schon sehr leicht.«
    Er schlief allein in seinem Bett. Als er aufwachte und aus dem Schlafzimmer kam, sah er sie durch die geöffnete Badezimmertür die Zähne putzen.

    Wäre ihm dieser Fall nicht immer wieder durch den Kopf gegangen, es wäre wahrscheinlich die schönste Woche seines Lebens gewesen. Am Dienstag fuhren sie nach Masada und ans Tote Meer, und Avraham schaute vom Ufer aus zu, wie Marianka zögernd in das seimige Wasser stakste und sich schwarzen Schlamm auf Wangen und Stirn rieb. Schon als Kind hatte er das Tote Meer gehasst.
    Am Mittwoch brachte er sie frühmorgens nach Ostjerusalem, von wo aus sie allein mit einem Sammeltaxi nach Bethlehem weiterfuhr. Danach bedauerte er, ihrem Drängen, doch mitzukommen, nicht nachgegeben zu haben, vor allem als er feststellte, wie still und ernst sie bei ihrer Rückkehr war. Ihre Berührungen waren nachdrücklicher. Sie erzählte ihm, sie habe mehr als eine Stunde in der Geburtskirche gesessen und über ihr Leben nachgedacht.
    »Was hast du dir gewünscht?«, fragte er.
    »Ich habe mir gar nichts gewünscht, das ist kein Wunschbrunnen, sondern eine Kirche. Ich habe nur gespürt, dass ich anders sein möchte, aber nicht weiß, wie.«
    Am jenem Abend
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher