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Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst

Titel: Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst
Autoren: Dror Mishani
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tun gehabt hatte? In all den Jahren bei der Polizei war Avraham noch nie einem Menschen wie Avni begegnet, der alles daransetzte, ins Visier einer polizeilichen Ermittlung zu geraten. Offenbar hatte Avni das zwanghafte Bedürfnis, etwas zu gestehen, aber Avraham war es nicht gelungen herauszufinden, was. Vielleicht wusste auch Avni selbst es nicht.

    Marianka traf eine Woche später ein, am Dienstagnachmittag um vier.
    Sie trug Jeans, eine geblümte, kurzärmlige rosafarbene Bluse und Turnschuhe. Ihre braunen Haare waren kurzgeschnitten. Sie küssten einander auf die Wange, zweimal, dann nahm er ihr den Metallkoffer ab und zog ihn hinter sich her zum Parkdeck. Unwillkürlich musste er an den Koffer denken, in den Ofer verfrachtet worden war, und fürchtete, Marianka hätte den Schatten gesehen, der sich auf sein Gesicht gelegt hatte.
    Am Wochenende vor ihrem Besuch hatte er seine Wohnung hergerichtet. Seit Monaten war keine Frau mehr zu Besuch gewesen war, und seit beinahe zwei Jahren hatte keine mehr bei ihm übernachtet. Am Donnerstag, seinem letzten Arbeitstag vor dem Urlaub, hatte er früh Feierabend gemacht und war ins südlich gelegene Industriegebiet von Cholon gefahren, um ein Schlafsofa zu kaufen. Danach hatte er das kleine Zimmer, das ihm als Arbeitszimmer und Abstellkammer diente, leergeräumt. Die Kisten mit alten Unterlagen, teils privat, teils Material zu vergangenen Fällen, hatte er im Wandschrank im Flur verstaut. Die beiden verstaubten Ventilatoren und die alte Stereoanlage entsorgte er im Müll. Der kleine Arbeitstisch mit dem Computer kam ins Wohnzimmer. Es war bereits Abend, als er zum trüben Schein einer schmutzigen, nackten Glühbirne, die von der Decke hing, die Fenster putzte.
    Am nächsten Morgen schrubbte er die übrigen Zimmer der Wohnung, insbesondere die Küche, und fuhr danach nach Tel Aviv, um Obst, Gemüse, Gewürze und Knabbereien auf dem Carmel-Markt zu kaufen und neue Laken für das Schlafsofa, das zu Beginn der neuen Woche eintraf. Er wusste nicht, ob sie bei ihm essen würden oder im Restaurant. Wusste nicht einmal, ob Marianka die ganze Woche über, die sie in Israel sein würde, mit ihm gemeinsam etwas unternehmen wollte. Sicherheitshalber verbrachte er am Sabbat mehrere Stunden im Internet, um die besten Restaurants in Tel Aviv ausfindig zu machen. Er beschloss, sollte Marianka wirklich in seiner Wohnung zu Mittag oder zu Abend essen wollen, ihr zu sagen, dass er für gewöhnlich auswärts aß, und ihr vorschlagen, die Einkäufe im Supermarkt gemeinsam zu erledigen. Und er wusste nicht, ob er Pläne für die Abende machen sollte.
    Marianka gefiel die Wohnung. Behutsam schritt sie durch sein Wohnzimmer, als besichtigte sie die Wohnung eines vollkommen fremden Menschen, betrachtete das Bild an der Wand, das gerahmte Schwarzweißfoto von einem Vater, der auf einer Dorfstraße seinen kleinen Sohn auf dem Fahrradlenker spazieren fährt, las die Titel der CD s, die auf dem hohen Metallständer sortiert waren, und blieb dann vor dem Bücherregal stehen. »Sind das die Kriminalromane, von denen du mir erzählt hast?«, fragte sie. Fast alle waren auf Hebräisch.
    »Ja, auch. Ich zeige dir das Gästezimmer«, erwiderte er und führte sie in das kleine Zimmer, das ohne die Kartons und den Computertisch, dafür aber mit dem neuen Schlafsofa, den blauen Kissen und dem kleinen Lampenschirm, den er am Morgen noch schnell gekauft hatte, fast geräumig und hell wirkte.
    Er schlug vor, nach Tel Aviv oder nach Jaffa zu fahren, dort zu Abend zu essen und Pläne für ihren Besuch zu schmieden. Marianka war müde vom vielen Sitzen und der Reise und wollte sich bewegen. Sie fragte, ob es möglich sei, zu Fuß nach Tel Aviv zu gehen, und er lachte.
    »Dann lass uns hier spazieren gehen. Ich möchte laufen«, schlug sie vor.
    »Aber hier gibt es nichts zu sehen, und man kann auch nirgendwo essen.«
    »Du lebst doch hier, oder?«, fragte sie. »Also gibt es bestimmt etwas zu sehen. Ich befinde mich in einer Stadt, in der ich noch nie war, meinst du, das könnte langweilig sein? Ach ja, wie, hast du gesagt, heißt sie noch gleich?«
    Sie spazierten durch die Straßen von Cholon. Marianka betrachtete die Wohnhäuser, die Gesichter der Menschen, die ihnen begegneten, die Kleidung, die sie trugen, als sei sie in New York gelandet oder in geheimer Mission unterwegs. Und anders als in Brüssel ging sie in Cholon langsam. Nur durch eine Straße führte für sie kein Weg, und er dirigierte sie in einem
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