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Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst

Titel: Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst
Autoren: Dror Mishani
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ironische) Note hat angesichts der Umstände, unter denen wir uns kennengelernt haben.
    Zunächst einmal – das ist mir wichtig – sollen Sie wissen, dass ich nicht im Reinen bin mit mir, nachdem, was ich getan habe, auch nicht, nachdem ich feststellen konnte (im Großen und Ganzen, ich habe noch nicht alles ganz verstanden), von welch zentraler Bedeutung meine Rolle bei der Überführung von Ofers Eltern gewesen ist, aber vielleicht ja gerade deshalb. Es versteht sich von selbst, dass Rafael Sharabi bestraft werden muss, etwas anderes würde ich nie wollen, aber ich habe meine Schwierigkeiten damit, Teil einer Falle gewesen zu sein, die Sie ihm gestellt haben. (Wenn ich das richtig verstehe, was passiert ist?!) Rückblickend würde ich Ihr »großzügiges Angebot« ablehnen wollen, oder wäre gerne ein Mensch, der imstande ist, das zu tun. Zu meinem Bedauern bin ich das nicht, noch nicht. Wenn ich mich selbst quäle wegen meiner Feigheit, die mich Ihre »Offerte« hat annehmen lassen, versuche ich mir einzureden, dass ich wegen meiner Frau und meinem Sohn nicht anders handeln konnte. Und außerdem sage ich mir, dass ich ja jetzt über vertrauliche Informationen verfüge, die gegen die Polizei verwendet werden könnten. Wir befinden uns damit fast auf Augenhöhe, nicht wahr? Sie wissen Dinge über mich, von denen ich nicht möchte, dass jemand sie erfährt, aber ich weiß auch etwas über Sie, das Sie nicht gern publik gemacht haben möchten (das soll keine Drohung sein).
    Zweitens wollte ich Ihnen schreiben, dass ich von unserer Begegnung zutiefst enttäuscht war (und ich hoffe, Sie sind imstande, meine Direktheit zu schätzen). Als wir uns trafen, hatte ich das Gefühl, es könnte zu einem ehrlichen Gespräch zwischen uns kommen, aber offensichtlich habe ich mich in Ihnen getäuscht. Vom ersten Augenblick an haben Sie mich und meine Absichten nicht verstanden, haben mich vorschnell verurteilt, haben alles, was ich Ihnen über die Nähe zwischen Ofer und mir erzählt habe, in Verdächtigungen gegen mich übersetzt, und dies so nachhaltig, dass ich heute selbst kaum mehr an mein Verhältnis zu Ofer denken kann, ohne meine Absichten nachträglich in Zweifel zu ziehen. Ihnen dies zu verzeihen, fällt mir schwer. Und schließlich haben Sie mein Vertrauen und meine Wertschätzung ausgenutzt, um Ihre Ziele zu erreichen. (Nebenbei gefragt: Sind Sie schon befördert worden oder haben eine Auszeichnung für Ihren »Erfolg« erhalten?)
    Und es gibt noch eine letzte Sache, die ich eher mir selbst als Ihnen schreibe, und dies betrifft das Schreiben an sich. Was ich zu schreiben begonnen habe, werde ich nicht fortführen, seien Sie unbesorgt, obgleich ich erst heute begreife, welche Kraft den von mir verfassten Briefen innewohnte. Denn im Grunde genommen, ohne dass ich auch nur das Geringste gewusst habe (Sie glauben mir endlich?), findet sich in diesen Briefen die Wahrheit in literarischem und in faktischem Sinn in Worte gefasst, lange bevor sie Ihnen allen ersichtlich war. Vielleicht ist das gemeint, wenn man von Inspiration spricht. Ich empfinde eine gewisse Befriedigung (und auch ein Schaudern), wenn ich daran denke, wie Ofers Eltern seine Briefe gelesen haben, mit all den Anschuldigungen, die er endlich den Mut gefunden hatte, gegen sie zu erheben, während sie vor aller Welt ihre Schuld verbargen. Vor allem aber ermutigt mich dies, mit dem Schreiben nicht aufzuhören, trotz aller Einschüchterungsversuche (auch durch andere, nicht nur durch Sie). Ich weiß noch nicht, was ich schreiben werde, aber ich weiß, dass ich es tun werde, und dies in nicht allzu ferner Zukunft. Vielleicht wird es ein Buch über einen Polizeiermittler? Mein Sohn Ilay kommt jetzt in ein Alter, in dem er gerne Geschichten hört, die ich für ihn schreibe, auch wenn er noch nicht alles versteht. Vielleicht sollte ich beginnen, Kinderbücher zu schreiben.
    Bleiben wir einander wohlgesinnt?
    Seev Avni

    P.S. : Sollten Sie zufällig nach mir suchen – in einigen Wochen werden Sie mich wohl nicht mehr unter dieser Anschrift finden. Wir haben vor wegzuziehen, obwohl niemand im Haus von meinem Beitrag weiß (und ich ausdrücklich möchte, dass es auch so bleibt). Dies ist nicht der Ort, an dem wir Ilay großziehen möchten, und ich wollte ohnehin schon länger fort von hier.

    Sollte er den Brief in dem Ermittlungsordner abheften? Oder ihn wegwerfen? Sollte er ihn aufbewahren, falls sich herausstellen sollte, dass Seev Avni doch etwas mit der Sache zu
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