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Ausweichmanöver (German Edition)

Ausweichmanöver (German Edition)

Titel: Ausweichmanöver (German Edition)
Autoren: Sabine Hartmann
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die er sich hatte aus den Händen puhlen müssen. Alles unwichtig.
    Er legte den Kühlergrill auf die hölzerne Werkbank und öffnete seine Werkzeugtasche. Als er den Dreizehner nicht auf Anhieb fand, spürte er Wut in sich aufsteigen. Er dachte an das Shadowboard im Autohaus, wo man alle Werkzeuge übersichtlich vor sich hatte. Dann straffte er sich, hob die Werkzeugtasche mit einem Ruck auf die Arbeitsfläche. So neumodischen Kram wollte er nicht. Eine lederne Werkzeugtasche war genau das Richtige für ihn. Sanft strich er über das rissige Leder.
    Kurz nach dem dritten Geburtstag seiner Schwester war sein Alter wieder einmal betrunken nach Hause gekommen. Sebastian hatte immer geglaubt, dass er ihn auf dem Kieker hatte, weil er eben nicht sein richtiger Sohn war. Doch der machte gar keinen Unterschied zwischen ihm und seiner eigenen, richtigen Tochter. Torkelte in die Wohnung. Schob Melanie zur Seite, die in fröhlich begrüßen wollte, sodass sie mit dem Rücken gegen die Garderobe knallte und vor Schmerz weinte. Brüllte nach seinem Steak. Als seine Mutter den Teller nicht schnell genug auf den Tisch brachte, schlug er nach ihr. Sie flog gegen den Türrahmen und stieß dabei Melanie um, die hinter ihr gestanden, sich an ihren Beinen festgeklammert hatte. Seine Mutter schrie vor Schmerz, konnte sich nicht gleich wieder aufrichten. Trotzdem versuchte sie, ihre dreijährige Tochter mit ihrem Körper zu schützen, als der Alte sie trat.
    „Steh endlich auf, du alte Fotze.“
    Jedes Wort ein Tritt.
    Sebastian erinnerte sich, wie er auf dem Flur gestanden hatte. Er konnte nur einen Ausschnitt der Szene sehen. Den Kopf seiner Mutter, der unter den Tritten hin und her flog. Aber er hörte alles, jeden einzelnen Tritt. Jedes Stöhnen seiner Mutter, das hilflose Schluchzen seiner Schwester.
    Dann tauchte Melanies Gesicht auf. Sie blutete. Aus der Nase?
    Sie sah ihn an. Bittend. Mit Tränen verschmiertem Gesicht. Streckte einen Arm nach ihm aus.
    Sebastian legte seinen Zeigefinger auf den Mund, bückte sich lautlos. Kaum hatte er ihr Händchen gepackt, um sie aus der Küche zu ziehen, wurde er an den Haaren nach oben gerissen.
    Er schrie nicht.
    Einen Augenblick war er wie gelähmt.
    Dann roch er das Bier, als der Alte ihn anbrüllte und über seine Mutter hinweg in die Küche zerrte. Sebastian spürte, dass er seiner Mutter auf den Bauch trat, aber er hatte keine Wahl.
    Was sollte er denn tun?
    Der Alte stieß ihn erst gegen den Tisch und dann gegen den Herd. Was er brüllte, verstand Sebastian nicht. Seine Brust schmerzte. Seine Augen füllten sich mit Tränen.
    Da bemerkte er die Pfanne. Er griff nach dem Stiel. Schlug zu, ohne hinzuschauen. Das heiße Fett spritzte auf seine Arme und sein Gesicht. Der Alte wankte, fiel. Irgendwie verdutzt guckte er. Sebastian sah, wie seine Augen nach hinten zu rollen schienen, bevor er ohnmächtig wurde. Schnell stieg er über ihn hinweg, half seiner Mutter aufzustehen und Melanie, das Blut abzuwischen.
    „Du musst verschwinden.“
    Die Stimme seiner Mutter klang atemlos. „Wenigstens für ein paar Tage. Wenn er wieder aufwacht, schlägt er dich tot.“ Sie krümmte sich vor Schmerzen, hielt sich die Seite.
    Sebastian zögerte. Weg? Wo sollte er denn hin? Sie brauchte ihn doch.
    „Geh zu Mikey. Ich rufe seine Eltern nachher an und frage, ob du ein paar Tage bleiben kannst.“ Sie zog eine Plastiktüte aus der Eckbank. „Nimm dir was zum Anziehen mit.“ Dann fingerte sie noch fünf Mark aus der Hosentasche. „Beeil dich.“
    Wie benommen ging Sebastian ins Wohnzimmer. Sein Bett stand unter dem Fenster, daneben der Karton, in dem er seine Schulsachen und sein Spielzeug aufbewahrte. Die kleine Blechschachtel mit seinen Schätzen steckte er als Erstes in die Tüte. Seine zweite Hose und zwei T-Shirts folgten. Er überlegte kurz, ob er einen Schlafanzug brauchen würde. Da der lauter Löcher hatte, verzichtete er darauf. Er schlief sowieso lieber in Unterwäsche. Weil er Tränen in den Augen hatte, sah er nicht, ob die Socken, die er einsteckte, zusammengehörten. Es war ihm egal.
    Kein Laut war zu hören, als er über den Flur schlich und die Wohnungstür hinter sich zufallen ließ.
    Langsam ging er die Treppe hinunter. Im Hausflur roch es nach Hühnchen. Frau Mirsal machte freitags immer Hühnchen für ihren Enkel. Sebastian lief das Wasser im Mund zusammen. Wann hatte er das letzte Mal Hühnchen gegessen? Er konnte sich nicht erinnern. Weihnachten vielleicht? Sollte er bei
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