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Aussicht auf Sternschnuppen

Aussicht auf Sternschnuppen

Titel: Aussicht auf Sternschnuppen
Autoren: Katrin Koppold
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auseinander zu klaffen. Im Brustbereich erschien mir ein Größenzuwachs zunächst nicht besonders dramatisch, außerdem ließ sich dieses Problem nach dem Motto Aus den Augen, aus dem Sinn leicht beheben. Ich zog einfach einen Pullunder über die Blusen und sie saßen wieder perfekt. Schlimmer wurde es, als mir meine Lieblingsjeans nicht mehr passte. Ich hatte schon seit einiger Zeit Probleme gehabt, sie zu schließen, aber eines Tages wehrte sich der Reißverschluss besonders hartnäckig und entzog sich meinem Ziehen und Zerren, indem er an der Naht, die ihn mit dem Hosenstoff verband, aufplatzte. Ich musste abnehmen, dringend – und mich endlich dem Punkt auf meiner To-do-Liste stellen, den ich schon seit Wochen vor mir herschob: Ich musste mir neue Kleider kaufen.
    Im Herbst, ich hatte zusammen mit meiner Mutter ein Café betreten, das eine verspiegelte Glasfront hatte, musste ich mir resigniert eingestehen, dass Milla mit ihrem ständigen Gestichel über meinen langweiligen Kleidungsstil Recht hatte. Wer nicht direkt in unsere Gesichter schaute, konnte ohne weiteres annehmen, dass sie die Tochter und ich die Mutter war. Denn während ich mit Jeans, einem beigen Shirt, einer Strickjacke und flachen braunen Schuhen bekleidet war, trug meine Mutter eine goldglänzende Pumphose, ein cremefarbenes Shirt mit Spitzenausschnitt und hohe Stiefeletten in Cognac, der Trendfarbe der Saison, wie sie mir versicherte.
    Danach hatte ich beschlossen, dass sich in meinem Leben modisch etwas ändern musste. Aber bisher hatte ich es einfach noch nicht geschafft, diesen Entschluss auch in die Tat umzusetzen.
    Erst als ich auch eine zweite Jeans trotz unmöglicher Verrenkungen nicht mehr schließen konnte, gab ich auf und machte mich an einem verschneiten Samstagmorgen im Januar zusammen mit Lilly auf zum Münchener Marienplatz.

    Wir gingen in das Kaufhaus Ludwig Beck und suchten zusammen eine neue Jeans, ein zart roséfarbenes Oberteil mit V-Ausschnitt und eine weiße Bluse für mich aus. Danach wäre ich am liebsten wieder nach Hause gegangen.
    „Ich verstehe nicht, wieso alle Frauen so gerne einkaufen gehen. Ich hasse diese ständige Umzieherei“, murrte ich.
    Doch Lilly zeigte sich erbarmungslos. „Nichts da. Schwächeln gilt nicht.“ Und sie zerrte mich in die nächste Abteilung, wo sie mir eine senffarbene Hose, einen braunen Pullover und ein gemustertes Halstuch aufdrängte. Am Schluss gingen wir noch in die Schuhabteilung und ich musste mir sandfarbene Schnürstiefeletten und kniehohe schwarze Stiefel kaufen.
    „Bist du nun zufrieden?“, fragte ich und zückte mit schmerzverzerrtem Gesicht erneut meine Kreditkarte.
    „Fast. Aber eine Sache fehlt noch.“
    „Was denn?“
    „Du brauchst dringend neue Unterwäsche“, sagte Lilly. „Was ich vorhin in der Umkleidekabine an dir gesehen habe, kann ich nicht durchgehen lassen. Du kannst doch keine Baumwollunterwäsche tragen! Jedenfalls nicht, wenn du jemals wieder mit jemand zusammenkommen willst.“
    Resigniert folgte ich ihr.
    „Guten Tag, kann ich Ihnen behilflich sein?“, fragte uns eine Verkäuferin, kaum dass wir die Wäscheabteilung betreten hatten. Sie war klein und zierlich und hatte einen dicken, taillenlangen Zopf.
    „Danke, ich komme zurecht. Ich schaue mich nur um.“
    Doch die Verkäuferin ignorierte meinen Einspruch. „Wir haben gerade heute Morgen schöne neue Modelle hereinbekommen.“
    „Gut“, gab ich nach. „Zeigen Sie sie mir! Aber ich möchte nichts Buntes.“
    „Welche Größe haben Sie?“, fragte sie mich.
    „38“, wollte ich schon sagen. Aber dann fielen mir meine auseinanderklaffenden Blusen ein. „Wahrscheinlich 40“, meinte ich schicksalsergeben.
    Die Verkäuferin verschwand und tauchte nur wenige Augenblicke mit mehreren Wäschesets auf. Sie reichte sie mir in die Umkleidekabine. Sie hatte einen wirklich guten Geschmack. Ich griff nach einem weißen BH und zog ihn an. Er passte wie angegossen. Dann griff ich nach dem dazu passenden Spitzenslip und wollte ihn gerade überstreifen, … als mein Blick auf das Etikett fiel. Das musste ein Irrtum sein! Größe 44! Ich griff nach dem nächsten Set! 44! Und nach einem dritten. Ebenfalls.
    Ich schaute durch den Schlitz des Vorhangs hindurch.
    „Gibt es ein Problem?“, fragte die Verkäuferin.
    „Ja, 44 ist zu groß. Könnten Sie mir die Slips bitte ein oder zwei Nummern kleiner bringen?“
    „Aber sie müssen immer zwei Nummern größer als die normale Kleidergröße gekauft
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