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Aussicht auf Sternschnuppen

Aussicht auf Sternschnuppen

Titel: Aussicht auf Sternschnuppen
Autoren: Katrin Koppold
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etwas bei mir vergessen. Das wollte ich ihm wiedergeben.“
    Der Regisseur ließ für einen kurzen Augenblick erschöpft sein Gesicht in seine Hände sinken, um sich zu sammeln. Dann fuhr er sich energisch mit beiden Händen durch die Haare und sah danach wie ein verzweifelter Albert Einstein aus.
    „Nils ist hier nicht erschienen. Gestern Morgen hat er angerufen und abgesagt“, erklärte er mir mit müder Stimme. „Und ich bekomme wegen der Aschewolke so schnell keinen Ersatz für ihn.“ Erneut verbarg er sein Gesicht in den Händen und gab mir damit wohl zu verstehen, dass das Gespräch für ihn an dieser Stelle beendet war.
    Wie betäubt verließ ich das Hotel und setzte mich auf Neles Vespa. Schon wieder ein Zeichen! Nils war nicht nach Vinci gefahren. Er hatte Recht gehabt. Vielleicht sollte ich tatsächlich einmal eine Zeitlang alleine sein und lernen, mit mir selbst auszukommen anstatt ständig irgendwelchen Männern hinterherzurennen.

Von Pisa bis München brauchte ich mit dem Zug zwölfeinhalb Stunden. Zehn Stunden davon schlief ich. Die restliche Zeit weinte ich.
    Bis Giuseppe seine Sachen aus meiner Wohnung geholt hatte, blieb ich bei meinen Eltern in Marzling. Der Zeitpunkt meines Besuches war ungünstig, da Milla mehr oder weniger den ganzen Tag über damit beschäftigt war, den Parkplatz vor ihrem Haus zu beobachten und den Corsa umzuparken, um den „schrecklichen Aibl“ daran zu hindern, ihr Aussicht und Nachtruhe zu rauben. Doch als sie mich mit rot verweinten Augen in der Tür stehen sah, siegte ihre mütterliche Ader und sie konzentrierte ihre ganzen Anstrengungen darauf, mich wieder aufzubauen, was sich darin zeigte, dass sie mir literweise grünen Tee einflößte und ich mir jeden Tag eine Engelkarte ziehen musste.
    Zurück in München versuchte ich, so gut ich konnte, mein altes Leben wieder aufzunehmen, was aber gar nicht so einfach war, da nicht Giuseppe und auch sonst kein Mann, sondern ausnahmsweise einmal ich selbst die Hauptrolle darin spielte. Es war seltsam, nicht die Freundin von jemand, sondern einfach nur Helga zu sein, und noch viel seltsamer war es, dass ich auf einmal neben meinem Beruf so viel Zeit übrig hatte. Zeit, nach der ich mich, seitdem ich das Studium abgeschlossen hatte, immer gesehnt hatte, mit der ich aber jetzt nicht allzu viel anzufangen wusste. Im Gegenteil – sie machte mir die Leere in meinem Leben noch viel deutlicher bewusst, als es ein voller Terminkalender erlaubt hätte.
    Ich versuchte, diese Leere mit allerlei Aktivitäten auszufüllen. Ich wurde Mitglied in einer gemischten Hobby-Volleyball-Mannschaft, bei gutem Wetter joggte ich mit Fee durch den Englischen Garten oder fuhr an der Isar Fahrrad und manchmal ging ich abends mit Bekannten, bei denen ich mich schon seit ewigen Zeiten nicht mehr gemeldet hatte, zum Essen. Und ich holte mir zwei kleine, wuschelige Katzenbabys aus dem Tierheim. Ich nannte die beiden Lydia und Lorenzo und sie sorgten dafür, dass das frei gewordene Bett in meinem Schlafzimmer nicht lange leer blieb.
    Die Trennung von mir und Giuseppe war undramatisch verlaufen. Nachdem er aus der Toskana zurückgekehrt war, packte er seine Zahnbürste, seinen Schlafanzug und einige Kleider, die er bei mir deponiert hatte, in einen Koffer und zog wieder in seine eigene Wohnung. Es flogen keine Tassen durch die Gegend, es flossen keine Tränen und es wurden auch keine bösen Worte ausgesprochen. Die fehlende Leidenschaft, die in unserer Beziehung geherrscht hatte, erwies sich bei unserer Trennung als wahrer Segen. Denn wir blieben einfach das, was wir die ganzen zwei Jahre zuvor mehr oder weniger gewesen waren – Freunde.
    Ich schätzte Giuseppe sehr. Ich mochte seine Freundlichkeit, seine Aufmerksamkeit und auch die Ruhe, die er ausstrahlte und die von mehreren Mitgliedern meiner Familie als „Lahmarschigkeit“ bezeichnet worden war. Und ich war mir sicher, dass er von der richtigen Frau an seiner Seite auf Touren gebracht werden konnte. Wir trafen uns alle paar Wochen zum Essen, zum Badminton spielen oder einfach nur zum Reden. Er war ein weitaus besserer Freund, als er ein Liebhaber gewesen war.
    Männer spielten in meinem Leben ansonsten keine Rolle. Obwohl ich zugeben musste, dass ich ein paar Monate nach meiner Rückkehr, als mir das Alleinsein gar zu erdrückend erschien, versuchte, mich probehalber in meinen Kollegen HDK zu verlieben. Es wäre wirklich praktisch gewesen. Aber der Funke wollte und wollte zwischen uns nicht
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