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Außer Atem - Panic Snap

Außer Atem - Panic Snap

Titel: Außer Atem - Panic Snap
Autoren: Laura Reese
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menschliches Nichts, nicht einmal mehr eine entfernte Erinnerung. Nichts ist von ihm geblieben.
    Physisch habe ich keine Ähnlichkeit mit dem Mädchen auf dem Acker. Ich bin seit damals fünf Zentimeter gewachsen, und mein Körper hat sich im Laufe von fünfzehn Jahren allmählich verändert. Die Ärzte haben mich gewarnt und gesagt, wenn ich mein Erinnerungsvermögen zurückerhielte, würde ich mich mit dem Gesicht, das sie mir gegeben haben, nicht mehr wieder erkennen. Sogar meine Stimme hat sich verändert. Ihr angenehmer Klang, etwas atemlos und eigentlich sexy, ist nicht echt. Der Chirurg hat sie mir gegeben, indem er eine kleinere Verletzung in meinem Hals reparierte. Nichts gehört mir. Die Siebzehnjährige wurde ausgelöscht, und ich bin aufgetaucht. Ich möchte sie zurückhaben. Ich muss wissen, wer ich bin und wer versucht hat, mich zu töten und warum. Ich brauche diese Antworten – um jeden Preis.
    Ich schiebe die Sonnenbrille auf dem Nasenrücken hoch. Ich fahre mit offenem Wagen, den Wind im Gesicht, ein Handgelenk auf dem Steuerrad. Rings um mich her nur Weinberge. Und inmitten der Pflanzungen erheben sich die Weinkellereien, die ganz unterschiedlich sind, manche großartig wie französische Chateaux, andere kalt und grau und Furcht erregend wie mit Zinnen bewehrte mittelalterliche Schlösser. Manche sehen aus wie moderne Museen oder viktorianische Häuser, wieder andere wie alte amerikanische Scheunen, aus Holz gebaut und rustikal. Doch alle stehen sie einzeln da, zwischen ihnen große, mit Wein bepflanzte Flächen. Ich sehe einige Männer, Feldarbeiter vermutlich; sie kümmern sich nicht um die paar Wagen, die die Straße zur Weinkellerei hinauffahren – viele Leute kommen auch wochentags zur Weinprobe. Ein einsamer Traktor bewegt sich langsam und ratternd auf einem Feldweg dahin und wirbelt Wolken von Staub auf. Der warme Wind umfächelt mich, und ich spüre die Verletzlichkeit, als der Lufthauch über meinen frisch geschorenen Nacken streicht; er ist nackt und ungeschützt. Ich weiß, dass ich ein Risiko eingehe, indem ich hierher komme. Ich trete das Gaspedal durch und lasse mir von der Geschwindigkeit den Kopf frei blasen. Wie grüne Schatten huschen die Bäume vorbei.
    An der Biegung der Canyon Road fahre ich nach rechts. Das gesamte Land, das nach einem Frühlingsregen smaragd-grün ist, scheint in Bewegung zu sein: träge vorübergleitende Hügel, schlingernde Kuppen, wogendes Gras. So üppig und fruchtbar sieht es aus wie ein Bilderbuchland – wenn ich doch bloß an Märchen glaubte! Weiter oben an der Straße tauchen die beiden Steinsäulen der Einfahrt zur Byblos-Weinkellerei auf. Angst ballt sich in meinem Magen zusammen, als ich zwischen den Säulen hindurch fahre. Ich war schon mehrmals hier – um mit Mrs. McGuane über die Arbeit zu sprechen, als Gast im Probierraum –, und jedes Mal beschlich mich das gleiche Gefühl böser Vorahnung.
    Ein schmaler, von Olivenbäumen gesäumter Weg führt mich zur Kellerei hinauf, einem riesigen alten Steingebäude, dessen graue Wände fast vollständig von rankendem Efeu und gelben Flechten verdeckt sind. Es ist mir ebenso wenig vertraut wie alles andere auch. Als ich zum ersten Mal nach Byblos kam, dachte ich, irgendetwas würde mir ins Auge springen, ich würde es erkennen und ausrufen: »Ja! Hier war ich schon mal! Diese berankten Wände habe ich schon mal gesehen!«
    Doch so war es nicht. Wenn dieser Ort in meinem Gedächtnis existieren sollte, dann ist er mir noch immer verborgen; unerreichbar. Ich fahre auf dem gewundenen Weg ungefähr vierhundert Meter weiter. Das Anwesen der McGuanes befindet sich in einem kleinen, schüsselähnlichen Tal inmitten von Weingärten. Die braunen Rebstöcke sehen alt und arthritisch aus; wie tote Arme krallen sich ihre Zweige an die Gitter. Schließlich mündet der Weg in eine runde Auffahrt vor dem Wohnhaus, einem großen zweigeschossigen Landhaus im europäischen Stil, wie ich glaube, mit sorgfältig gearbeitetem dunklem Mauerwerk und Bogenfenstern mit unterteilten Scheiben. Ein glänzend schwarzer Wagen mit goldenen Zierleisten parkt vor dem Haus.
    Ich halte mehrere Wagenlängen hinter dem schwarzen Wagen, einem Jeep Grand Cherokee, wie auf dem Schild steht, und mache den Motor aus. Es duftet süß, vielleicht nach Glyzinie, aber da bin ich nicht sicher. Bei Pflanzen kenne ich mich nicht besonders aus. Ich bleibe im Wagen sitzen, streife die Ärmel meines Pullovers bis zu den Ellbogen hoch und betrachte
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