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Außer Atem - Panic Snap

Außer Atem - Panic Snap

Titel: Außer Atem - Panic Snap
Autoren: Laura Reese
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Ordnung findet. Und wie die meisten Menschen kaschierte er seine Neugierde, um mich nicht zu kränken. Er streckt mir eine große, fleischige Hand hin, eine Bärenpranke, und schüttelt meine. Bei der Berührung mit seiner Haut spüre ich etwas Unvorhergesehenes: eine Erregung, ein bedenkliches Prickeln in meinen Eingeweiden, und ich mag dieses Gefühl. Ich kann mir vorstellen, das ein Jäger, der seine Beute aufstöbert, ähnlich empfindet. Hastig senke ich den Kopf, weiche seinem Blick aus, weil ich Angst habe, mich zu verraten. Im Vergleich zu meiner Hand ist seine riesig, und ich rechne mit einem festen Griff. Doch er ist sanft und zurückhaltend, als fürchte er, er könnte meine Hand zermalmen. Das habe ich auch bei anderen großen Männern schon erlebt; im Bewusstsein ihrer Kraft halten sie sich vorsichtig zurück. Doch wenn James der Sinn danach stehen sollte, könnte er mir sehr wehtun. Und vielleicht hat er das bereits.
    »Willkommen auf Byblos«, sagt er und lässt meine Hand los. Sein Ton ist freundlich, und er markiert ganz den Arbeitgeber, der die neue Angestellte begrüßt. Er sieht kurz auf die Uhr. »Meine Mutter sagt, Sie hätten beste Empfehlungen.«
    Ich lächle ein wenig nervös und zucke mit den Schultern. Ich suche in seinen Augen nach einem Zeichen des Erkennens, doch da ist keins. Einen Moment lang bin ich enttäuscht. Obwohl ich wusste, dass es praktisch unmöglich war, vielleicht sogar absurd, habe ich auf eine freudige Wiedervereinigung gehofft – die lange vermisste Freundin kehrt endlich zurück. Das habe ich mir vorgestellt – dass meine frühere Verbindung mit James eher gut als schlecht war und dass er, trotz der fünfzehnjährigen Trennung und eines erkennbar veränderten Aussehens, durch die bloße Kraft der Liebe in meinem Gesicht eine Spur des Mädchens wieder finden würde, das ich einmal gewesen bin. Vielleicht bin ich ja vor fünfzehn Jahren auf einem einsamen Nachmittagsspaziergang entführt worden. Vielleicht hat James in all diesen Jahren unablässig nach mir gesucht. Vielleicht. Aber nicht wahrscheinlich. In meinem Innersten weiß ich instinktiv – vielleicht handelt es sich auch gar nicht um den Instinkt, sondern darum, dass meine Erinnerungen verzweifelt versuchen, an die Oberfläche zu kommen –, in meinem Innersten weiß ich, dass meine Verbindung zu ihm mit bösen Absichten, Gefahr und Schmerz belastet ist. Für uns wird es keine glückliche Wiedervereinigung geben.
    Er sagt etwas von Geschäften in der Stadt und dass seine Mutter im Haus auf mich warte, wendet sich ab und geht eilig zu seinem Auto. Er hat einen John-Wayne-Gang – einen langsam abrollenden, festen, selbstsicheren Gang, so als gehöre ihm das Land, auf dem er geht, was in diesem Fall ja auch stimmt. Obwohl ich weiß, dass ich ihm bald wieder begegnen werde, gerate ich in Panik, als ich ihn so eilig fortgehen sehe. Nach den vielen Jahren ohne den geringsten Hinweis auf meine Identität sträubt sich alles in mir dagegen, ihn schon wieder gehen zu lassen.
    »Warten Sie!«, rufe ich und merke zu spät, dass mein Ton zu drängend ist. Ich ermahne mich, vorsichtiger zu sein; Fehler kann ich mir nicht leisten.
    Er dreht sich um und sieht mich fragend an, den Kopf ein wenig schräg gelegt, als wollte er sagen: »Was ist?«
    Ein Vogel tiriliert und flattert dann als farbiger Blitz zu einem anderen Baum am Ende der Auffahrt. Erst jetzt sehe ich den großen deutschen Schäferhund, der unter dem Baum liegt. Sein Kopf ruht auf den Vorderpfoten, und sein Schwanz schlägt immer wieder auf den Boden, während er uns beobachtet. James wartet.
    »Wenn Sie noch ein paar Minuten Zeit hätten«, bringe ich schließlich hervor, und dann breite ich meine Arme aus, die Handflächen nach oben gedreht. »Ich habe noch nichts von dem Anwesen gesehen.«
    Er zögert eine Sekunde und sieht mich ruhig, ohne Regung an. Ich höre ihn mit den Schlüsseln in seiner Hosentasche klimpern, sehe, wie er sie herauszieht. »Klar«, sagt er und öffnet die Wagentür. »Steigen Sie ein. Ich nehme Sie mit.«
    Er folgt dem Kiesweg um das Haus herum. Hinter den blühenden Gärten und einem Rasenstück, das zum Gästehaus seiner Schwester hinaufführt, sehe ich in der Ferne sanfte grüne Hügel voller Rebstöcke; auf ihren Kuppen stehen Bäume. Hoch am Himmel zieht ein großer Vogel – ist es ein Geier? – mit weit ausgebreiteten Schwingen langsam seine Kreise. Gemächlich fährt James durch das Land, deutet auf die verschiedenen Weinarten
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