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Außer Atem - Panic Snap

Außer Atem - Panic Snap

Titel: Außer Atem - Panic Snap
Autoren: Laura Reese
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Ich werde meine Antworten vielleicht nicht sofort finden, und ich weiß, dass ich vorsichtig sein muss, doch der heutige Tag ist der Anfang vom Ende meiner Suche.
    Ich drehe mich auf dem Hocker herum, stütze mich mit den Ellbogen auf dem Tresen hinter mir ab und lasse den Blick durch die Imbissstube schweifen –über die fünfköpfige Familie, die gerade in die einzige freie Nische klettert; über den dicklichen Geschäftsführer mit der weichen weißen Haut, der an der Registrierkasse steht und das Geld eines Gastes entgegennimmt; über die breiten zyklam- und malvenfarbigen Streifen an den Wänden, die der Imbissstube das Aussehen eines pastellfarbenen Bonbonladens geben.
    Befangen hebe ich eine Hand und fahre mir mit den Fingern durchs Haar. Es ist hellblond, von der Farbe sehr kalter Butter. In der letzten Woche habe ich es geschnitten – gewagt kurz, nach einem Foto, das mir in einem Modemagazin gefallen hat –, und ich habe mich noch immer nicht an das nackte Gefühl im Nacken gewöhnt. Ich habe mein Haar immer lang getragen, als eine Art zusätzlicher Sicherheit, vermute ich mal, um mein Gesicht so weit wie möglich zu verstecken.
    Als ich die Beine übereinander schlage, rutscht mein leichter geblümter Rock ein paar Zentimeter hoch. Mehrere Männer beobachten mich heimlich, doch das stört mich nicht. Ich weiß, dass Männer mich attraktiv finden, auch wenn mir nicht klar ist, warum. Ich bin nicht hübsch, aber ich habe – nach all den Operationen – ein Gesicht, das die Menschen nicht vergessen – verführerisch und zugleich hart, hat es einmal jemand genannt. Mein Gesicht hat kaum Falten, ist leicht asymmetrisch und erregt in anderen unterschwellige Gefühle – sie spüren, dass etwas damit nicht ganz in Ordnung ist, doch sie können sich nicht erklären, was. Sie sehen noch einmal hin. Manche sagen, meine Lippen, die voll und sinnlich sind, umspiele der Hauch eines arroganten Lächelns. Und in meinen hohen Wangenknochen, dem kräftigen Kinn und der klaren, fast farblosen Haut, sehen die meisten Menschen etwas Distanziertes, Reserviertes. Eine Frau, die nichts von meinen Operationen wusste, sagte mir einmal, ich sähe kühl aus wie Edelstahl. Ich glaube, sie verstand das als Kompliment.
    Während ich auf die Uhr schaue, drehe ich mich um. Ich lege drei Dollar auf den Tresen, nehme meine Zeitschrift und gehe. Draußen wird das Sonnenlicht in schrägen Strahlen von den geparkten Wagen reflektiert, von den Chromteilen und Seitenspiegeln und Windschutzscheiben. Der Himmel wölbt sich wie eine helle, endlose blaue Kuppel, die weiße Spätvormittagssonne scheint herab, und eine sanfte Brise bewegt die Luft. Kleine gelbe, weiße und blassrosafarbene Blumen blühen am Straßenrand, und in einem Eukalyptusbaum singt ein Vogel. Der Frühling ist da, ein Gefühl von Erneuerung und unbegrenzten Möglichkeiten liegt in der Luft. Endlich werde ich erfahren, wer ich bin. Im Gehen wühle ich in meiner Handtasche nach der Sonnenbrille und setze sie auf.
    Ich setze mich in meinen Wagen – ein weißes Kabriolett –, biege von der Hauptstraße ab und fahre auf dem Silverado Trail nach Norden. Die grünen Hänge um mich her sind von Rebstöcken bedeckt; sie scheinen über das Land zu kriechen, sich in der Ebene des Tals auszubreiten und die Abhänge der sich sanft erhebenden Hügel hinaufzuklettern – gerade Reihen von Rebstöcken, so weit das Auge reicht; sie bilden Muster, die an Patchworkdecken erinnern. Doch im Gegensatz zu den mit Gras bedeckten Hügeln und den früh blühenden Blumen schlafen die Rebstöcke noch. Sie sind noch knotig, knorrig und kahl, hängen an den hohen Holzpfosten wie ans Kreuz geschlagene Menschen. Zwischen den Reihen wuchern wild wachsende gelbe Senfpflanzen, die die Rebstöcke ersticken zu wollen scheinen. Nicht zum ersten Mal frage ich mich, ob ich das Richtige tue. Mein Drang nach der Wahrheit, nach Wissen um meine Vergangenheit ist so zwanghaft, dass er alles andere in mir blockiert und mein Leben genauso rücksichtslos vereinnahmt, wie der gelbe Senf sich zwischen den Rebstöcken austobt. Aber das zwanghafte Forschen nach meiner Vergangenheit ist nicht nur für mich wichtig – ja, es ist nicht einmal vorrangig für mich wichtig. Es ist wichtig für das siebzehnjährige Mädchen, das sterbend auf einem brachen Acker südlich von Davis an der Landstraße 104 gelegen hat. Ich bin aus dem Koma erwacht – dem Mädchen ist das nicht gelungen. Es ist vollständig verschwunden, ein
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