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Außer Atem - Panic Snap

Außer Atem - Panic Snap

Titel: Außer Atem - Panic Snap
Autoren: Laura Reese
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einem verlorenen, süßen, unschuldigen und auch verwundbaren Ausdruck in den blass-blauen Augen, der, gewollt oder ungewollt, Schutz erbitte. Seine Worte überraschten mich. Während andere – und auch ich selbst – eine eigenartige Kälte in meinem Gesicht sahen, entdeckte er etwas ganz anderes darin.
    Der Apfel brachte mich zum Weinen.
    Ich setze mich. Der Prozess und die Zeit im Gefängnis haben ihren Tribut gefordert: Mit den dunklen Rändern unter den Augen – vom Schlafmangel – hat mein Gesicht etwas Gehetztes, und ein Gefühl von Niederlage scheint schwer auf meinen Schultern zu lasten. Mein Haar, das ein paar Zentimeter gewachsen ist, hängt glatt und kraftlos herab. Der Richter hat mir eine Freilassung gegen Kaution von Anfang an versagt, und obwohl Napa County über ein schnell arbeitendes Gerichtssystem verfügt, bin ich nun schon fast drei Monate in Haft. Wenn es zu einem Schuldspruch kommt, werde ich jahrelang im Gefängnis bleiben müssen. Bei meiner Entlassung werde ich eine alte Frau sein. Vielleicht komme ich auch nie frei.
    Als ich darüber nachdenke, beginnt mein Herz wie rasend zu schlagen. »Es ist okay, es ist okay«, murmele ich immer wieder vor mich hin. »Es ist okay.« Ich balle die Hände zu Fäusten, dass die Knöchel weiß werden, und presse sie gegen die Oberschenkel. Jahr um Jahr eingesperrt, zu unbegreiflich. Das darf mir nicht geschehen, das nicht auch noch. Das Leben wird weitergehen, die Jahreszeiten werden einander ablösen, die Sonne wird jeden Tag neu aufgehen. Alles ohne mich. Kein Sonnenschein in einer Gefängniszelle. Ich schließe die Augen und versuche, die Tränen zurückzudrängen. Meine Fäuste graben sich in meine Beine. Jetzt, in diesem Augenblick, möchte ich an Gott glauben. Rette mich, Gott, bete ich. Bewahre mich davor. Doch das Einzige, was mir gegeben wird, ist eine Beklommenheit, die meine Brust aushöhlt. Vielleicht genau das, was ich verdiene. Langsam schaukele ich auf der Stuhlbank vor und zurück. Durch das schmale Fenster sehe ich die Uhr hoch oben an der Wand. Eine weitere Stunde ist vergangen. Ich möchte schreien. Ich möchte weinen.
    Stattdessen erhebe ich mich und gehe wieder auf und ab, schleppe mich von einem Ende des Raums zum anderen. Ich versuche, mich abzulenken, versuche, an etwas anderes zu denken. Ich habe einmal wunderschöne Sachen getragen, Kleider, Röcke, Schneiderkostüme, tolle Hosen, knappe Sommersachen. Unmengen von Kleidung in unterschiedlichen Farben, in einem Regenbogen von Schattierungen. Jetzt trage ich nur noch Blau; ein blau gemustertes Arbeitshemd, eine verschossene blaue Hose – die übliche Gefängnisuniform. Ich habe die Farbe Blau hassen gelernt. Langsam gehe ich auf und ab, zur Tür, zur Wand, zurück zur Tür, meine Schuhe machen keinen Laut, meine Beine und mein Rücken schmerzen bei jeder Bewegung. »Es ist okay«, wiederhole ich, obwohl ich es selbst nicht glaube.
    Wenn ich zurückdenke, frage ich mich, wie ich das, was geschehen ist, hätte verhindern können. Vor knapp einem Jahr habe ich die Familie McGuane kennen gelernt. Sieben Monate später war ich im Gefängnis. Aber es hat schon viel früher begonnen mit einer lebenslangen Suche, die ich einfach nicht beenden konnte. Zu einer bestimmten Zeit hätte ich alles dafür gegeben, Antworten auf meine Fragen zu bekommen, in meiner Suche endlich Erfolg zu haben. Kein Preis war mir zu hoch. Die Realität aber ist, dass ich meine Freiheit verloren habe.
    Ich schaue aus dem Fenster, sehe Wachen am Ende des Ganges, werfe erneut einen Blick zur Uhr. Meine Hände sind kalt, mein Mund trocken. Noch vor ein paar Minuten habe ich geschwitzt, jetzt sind meine Handflächen klamm. Das ist die Angst. Ich schlucke, doch ich habe keinen Speichel. Auch das ist die Angst. Jeden Augenblick wird das Urteil gefällt. Die Geschworenen werden entscheiden, ob ich schuldig bin. Plötzlich fängt meine Haut an zu jucken, ein verzweifelter Ruf nach Leben, so als verlangten sämtliche Nervenenden schreiend danach, gefühlt zu werden. In meinen Ohren pocht das Blut, mein Puls rast vor Panik. »Es ist okay«, flüstere ich, »es ist okay.« Wieder und wieder sage ich die Worte, die mir zum Mantra geworden sind, zum Beruhigungsgebet, drei kleine Worte der Verleugnung, die mir durch den Tag helfen – doch es ist nicht okay. Nichts ist okay. Ich möchte nicht den Rest meines Lebens im Gefängnis zubringen. Es war dumm zu glauben, dass kein Preis zu hoch sei. Ich wiederhole: »Es ist okay«,
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