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Außer Atem - Panic Snap

Außer Atem - Panic Snap

Titel: Außer Atem - Panic Snap
Autoren: Laura Reese
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das Haus. Es ist von großen Bäumen umgeben, von denen einer seine langen Äste über das Haus hinweg streckt wie einen beblätterten schützenden Schirm oder vielleicht wie ein grünes Leichentuch – ich kann mich nicht entscheiden. Das Haus ist eindrucksvoll in seinem altväterlichen Charme, und es macht einen soliden Eindruck, so als sei es Teil des Landes und habe längst Wurzeln geschlagen. Dieses Gefühl von Dauerhaftigkeit ist mir völlig fremd. Denn die meiste Zeit meines bewussten Lebens war ich unterwegs, immer auf der Suche und immer mit dem bitteren Wissen, dass ich jederzeit zusammenpacken und fortgehen konnte, ohne dass etwas oder jemand mich aufhalten würde.
    Ich nehme die Sonnenbrille ab und schaue mich um. Obwohl das Haus schön und der Morgen herrlich ist – warme Luft, Vogelzwitschern, Wildblumen kurz vor der Blüte, ein azurblauer Himmel –, überkommt mich ein starkes Unbehagen. Eine seltsam unheilvolle Schwere liegt in der Luft, die mir wie eine Warnung erscheint. Unwillkürlich schaudert es mich. Obwohl ich nicht friere, hebt eine Gänsehaut die feinen blonden Härchen auf meinen Armen an. Mit gerunzelter Stirn ziehe ich die Pulloverärmel wieder herunter. Für einen Rückzieher ist es zu spät.
    Ich schüttele die Verstimmung ab und steige aus. Meine Arbeit hier – das Kochen von Mittag- und Abendessen für die McGuanes und ihre Gäste – sollte relativ leicht sein, mit Sicherheit leichter als das Kochen in einem Restaurant. Mrs. McGuanes Mann ist vor einigen Jahren verstorben, und ihre erwachsenen Zwillinge James und Gina betreiben die Weinkellerei. Ich habe sie noch nicht kennen gelernt, weiß aber, dass beide auf dem Anwesen wohnen, Gina in dem Gästehaus hinter dem Hauptgebäude und ihr Bruder in einem anderen Haus weiter unten am Weg. An meinen Wagen gelehnt bleibe ich stehen und sehe mich um. Ich habe fünfzehn Jahre gebraucht, um hierher zu kommen.
    Obwohl ich hineingehen sollte, zögere ich noch, denn ich weiß, dass es kein Zurück mehr geben wird, sobald ich die Schwelle erst einmal überschritten habe. Ich betrachte das auf so altmodische Art elegante Haus. Der hohe bogenförmige Eingang ist von Backsteinen eingefasst, und schmale hohe Fenster flankieren die Doppeltür aus Holz zu beiden Seiten.
    Plötzlich öffnet sich die Tür. Ich erschrecke, und dann sehe ich ihn, den Mann aus dem
Wein-Anzeiger:
James McGuane. Er schaut auf einen Zettel, der er in der Hand hält, schließt abwesend die Tür hinter sich und sieht mich nicht. Eine Welle von Panik überschwemmt mich, und ich kann mich einen Moment lang nicht bewegen. Obwohl es fünfzehn Jahre her ist und obwohl die Chirurgen mir ein so anderes Gesicht gegeben haben, als ich von Natur aus hatte, glaube ich völlig verrückterweise, dass er mich erkennen wird. Und wenn er einmal versucht hat, mich zu töten, warum sollte er es nicht noch mal versuchen? Er ist ein Mann, der viel zu verlieren hat – seine Weinkellerei, seinen Ruf, seine Freiheit – wenn er herausfindet, wer ich bin. Dann siegt die Logik wieder in mir, und ich dränge die Angst zurück. Er kann mich gar nicht erkennen. Ich habe nicht mehr das Gesicht eines siebzehnjährigen Mädchens. Ich habe nicht mehr das Gesicht, mit dem ich zur Welt gekommen bin. Er kennt mich nicht.
    Er geht weiter, blickt auf und entdeckt mich. Nach kurzem Zögern sagt er mit unsicherem Lächeln: »Hi.« Dann kommt er auf mich zu.

2
    Er kommt mir beinahe überlebensgroß vor. Unwillkürlich weiche ich einen Schritt zurück; es ist, als bedränge mich seine schiere Anwesenheit. Er ist groß, mindestens eins neunzig, sieht aus, als bekäme er immer seinen Willen. Seine Kleidung, ein langärmeliges perlweißes Hemd und schwarze Hosen, sieht maßgeschneidert aus, und doch scheint sein kräftiger, muskulöser und leicht aus der Form gegangener Körper sie sprengen zu wollen. Er hat die Statur eines stämmigen Leibwächters, der seine Bestform vor ein paar Jahren verloren hat. Nachdem er einen letzten Blick auf den Zettel geworfen hat, schiebt er ihn in die Gesäßtasche.
    »Ich bin Carly Tyler«, sage ich, »die neue...«
    »Die neue Köchin«, beendet er lächelnd meinen Satz. Während er sich vorstellt, sehe ich, dass er mich mit einem kurzen Blick abschätzt. Er betrachtet flüchtig meinen geblümten Rock und den blassrosa Kaschmirpullover. Dann bleibt sein Blick an meinem Gesicht hängen, das er vermutlich – wie die meisten Menschen – irgendwie undurchdringlich und nicht ganz in
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