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Ausgewechselt

Ausgewechselt

Titel: Ausgewechselt
Autoren: Paola Zannoner
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bringen sollten, dann rollten sie auf ihre Positionen. In der Spielfeldmitte stand der Schiedsrichter, der schon die Pfeife im Mund hatte. Mit dem Anpfiff würde er den Ball in die Luft werfen.
    Leo war nicht in der Anfangsaufstellung. Von seinem Platz auf der Ersatzbank aus beobachtete er mit nach vorne gerecktem Kopf das Spiel, sein Magen war wie zugeschnürt. Beim dritten Wechsel würde er ins Spiel kommen.
    Kaum ertönte der Anpfiff, schwoll der Geräuschpegel in der Halle weiter an, die Fans begleiteten mit Sprechchören jede Aktion ihrer Mannschaft. Der Gegner war sofort in Ballbesitz und zeigte von Anfang an seine Überlegenheit, ein homogenes Team, das kompakt stand und mit traumwandlerischer Sicherheit kombinierte. Es schien, als würden die Akteure die Gedanken der Mitspieler erraten, ein kurzer Blick, ein Pass, eine unmerkliche Geste. Sie schienen doppelt so viele Spieler auf dem Feld zu haben, sie waren einfach überall: Am Mittelkreis, an der Außenlinie, unter dem gegnerischen Korb. Sie waren pfeilschnell und passsicher, jeder Wurf saß.
    Leo fieberte mit, die Augen fest auf den Ball geheftet. Er schien sich auf das Spielfeld katapultieren zu wollen, angespannt wie eine Bogensehne kurz vor Abschuss des Pfeils, die Hände auf den Rädern, der Blick auf den Ball fixiert. Kaum hatte der Trainer ihn aufs Feld geschickt, rollte er los und konnte gerade noch den Mannschaftskameraden abklatschen, der das Spielfeld verließ. Er war versessen darauf, den Ball zu ergattern, heißhungrig wie ein Hund auf den Knochen. Als er eingewechselt wurde, brandete Beifall auf, seine ehemaligen Mannschaftskameraden aus der Fußballmannschaft hatten ein riesiges Plakat mit seinem Foto mitgebracht und skandierten seinen Namen, auch die Mitschüler und sogar einige Lehrer waren da, um ihn anzufeuern.
    Mit einem Mal fühlte sich Leo wie ein antiker Held, als ob Achilles persönlich aufs Spielfeld gekommen wäre. Eine ehrfurchtgebietende Erscheinung, den Körper in eine glänzende Rüstung gepresst, die silbernen Metallplättchen klirrten bei jeder Bewegung, bei jeder Attacke. Er bahnte sich mit seinem Rollstuhl eine Schneise durch die Gegner, durch Ellbogen, Knie und ausgestreckte Hände, als würde er Schwert und Schild rotieren lassen. Und in dem Augenblick, als er den Ball bekam und in der Halle Jubel losbrach, schien es, als ob Athene, die Göttin der Helden, seine Hand führte und ihm den Weg freimachte, denn plötzlich sah Leo eine Lücke in der gegnerischen Abwehr, wahrscheinlich ein taktisches Versehen (oder sie hatten den Einwechselspieler einfach unterschätzt). Er witterte die Chance, schob sich zwischen zwei Gegnern hindurch, wich einem ausgestreckten Arm aus und warf den Ball mit mathematischer Präzision in Richtung Korb. Er gab sich nicht damit zufrieden, einen Fehler der Gegner ausgenutzt zu haben, sondern schnappte sich den vom Brett zurückprallenden Ball und traf noch einmal traumhaft sicher in den Korb, spielerisch, als wollte er sich über die andere Mannschaft lustig machen.
    Das Publikum war völlig aus dem Häuschen, rief im Chor seinen Namen und Leo hob den Arm und grüßte in die Menge, ein Körper mit tausend Köpfen, der ein Loblied auf ihn sang. Er spielte das Match seines Lebens, einen solchen Treffer hatte er noch nie erzielt, auch nicht beim Fußball, kraftvoll und elegant zugleich, einfach perfekt. Ein Moment grenzenloser Freude, die Gefühle überwältigten ihn. Und während ihm die Tränen über das Gesicht rannen, rollte Ruben neben ihn. »Was ist los? Weinst du? Willst du etwa, dass die Leute das für einen Sport für Weicheier halten?«
    Noch jemand weinte, ein Mann auf der Tribüne. Es war Leos Vater, der weit entfernt von seiner Frau und Jona das Spiel verfolgte. Die beiden saßen bei Manlio, inmitten einer Gruppe Jugendlicher in roten T-Shirts, die alle wegen Leo gekommen waren und sich die Seele aus dem Leib schrien.
    Enrico hatte sich zwischen die gegnerischen Fans gesetzt, die Arme vor der Brust verschränkt, die Stirn in Falten gelegt. Er wirkte leicht genervt von dem Chaos um ihn herum. Aber als Leo als umjubelter Held aufs Spielfeld kam, hellte sich seine Miene auf, sein Herz machte einen Sprung. Er rieb die Hände aneinander, die kalt waren wie Stein und ein wenig zitterten, während Leo den Ball über dem Kopf in der Hand kreisen ließ und die Gegner austrickste.
    Er hatte gar nicht gewusst, wie stark er war, dieser Junge. Seine Arme waren muskulös, die Schultern breit und das
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