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Ausgewechselt

Ausgewechselt

Titel: Ausgewechselt
Autoren: Paola Zannoner
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zu entgleisen, während es aus ihr herausbrach: »Du bist genauso boshaft wie dein Vater.«
    Viola war einige Schritte auf ihre Mutter zugegangen, die ihre Tochter mit angstgeweiteten Augen anstarrte, den Rücken an den Kühlschrank gepresst. Doch Viola wollte nur, dass sie jedes der Worte verstand, die sie ihr jetzt entgegenschleuderte: »Ich bin nicht wie mein Vater. Du bist genau wie er: Die gleiche Egozentrikerin, ihr denkt immer nur an euch selbst. Ihr besteht nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus purem Egoismus.«
    Dann wandte sie sich um und rannte wie eine Furie in ihr Zimmer, denn sie spürte, wie Zornestränen in ihr aufstiegen, und sie wollte nicht, dass ihre Mutter sie so sah. Ihr verschleierter Blick fiel auf die weiße Wand und auf den Spruch von Montaigne, den sie durch Zufall in einem Schulbuch gefunden hatte. Sie wusste nicht einmal, wer Montaigne überhaupt war, aber der Satz schien genau für sie geschrieben worden zu sein: »Wir sind niemals bei uns, wir sind immer darüber hinaus. Die Furcht, das Verlangen, die Hoffnung lassen uns in die Zukunft stürmen.«

Vierte Hürde
    Überall ist es besser als bei mir zu Hause. Ich kann keine Stunde dort verbringen, ohne das Gefühl zu haben, ersticken zu müssen. Dann muss ich raus, selbst wenn es nur für eine Runde um den Block ist. Aber auch das Viertel ist mir zu eng, immer die gleichen Straßen, die gleichen Geschäfte und die gleichen Bekannten, die mich mitleidig ansehen, wenn ich vorbeirolle. Jedes Mal, wenn ein Bekannter mich sieht, legt er das aktuelle Leo-Bild über das von früher und nach diesem Vorher-Nachher-Vergleich nimmt sein Gesicht unweigerlich mitleidige Züge an.
    Nur einem erfahrenen Schauspieler würde es gelingen, diese Gefühle zu verbergen, ein Lächeln aufzusetzen und so zu tun, als sei es reine Sympathie, aber im richtigen Leben schafft das niemand, man erkennt sofort, ob jemand ehrlich ist. Diese aufgesetzten Lächelversuche, die halblauten Begrüßungen, das rücksichtsvolle Kopfnicken gehen mir auf den Geist. Dieses bemühte Türaufhalten und die beflissene Frage: »Kann ich dir helfen?« All das macht mich wütend, ich reagiere ungehalten und abweisend und die guten Samariter sind beleidigt. Erst gestern ist es wieder passiert: Eine Frau wollte mir die Tür zum Bäckerladen aufhalten und auf meinen Einwand, dass ich das auch selber könne, sagte sie vorwurfsvoll: »Wie ungezogen.« Ob aus schlechtem Gewissen oder verletztem Stolz, jedenfalls ist sie puterrot geworden und hat sich beklagt: »Man kann nicht mal mehr freundlich sein, die Jugend von heute ist so undankbar, sogar diejenigen … die Schwierigkeiten haben.« Sie hat ganz leise gesprochen, wie zu sich selbst, aber es war klar, dass sie die Zustimmung der Verkäuferin und der anderen Kunden suchte. Einige haben tatsächlich den Kopf geschüttelt, allerdings wusste man nicht so genau warum, andere taten unbeteiligt und die Verkäuferin hat ein verbindliches Lächeln aufgesetzt, wie es Verkäuferinnen üblicherweise tun: Der Kunde hat immer recht.
    Ich stand noch immer am Eingang, dann habe ich mich im Rollstuhl halb umgedreht, mit großer Mühe die verdammt schwere Glastür mit dem ziemlich weit oben angebrachten Messinggriff geöffnet und mich wieder mal gefragt, warum nicht alle Geschäfte Schiebetüren haben, die sich von selbst öffnen. Wenn ich durch diese Türen rolle, komme ich mir vor wie Moses, der das Rote Meer teilt. Bestimmt hat die Buchhandlung auf der Hauptstraße deshalb so viele Kunden, dort gleiten die Türen wie von Zauberhand auseinander und es scheint, als sagten sie: »Bitte, komm rein, fühl dich ganz wie zu Hause, ich bleibe auf, bis du mitten im Laden stehst, nur für den Fall, dass du es dir anders überlegst. Dieser Laden ist kein Tresorraum, sondern ein Ort, an dem du etwas suchen kannst und falls du es nicht findest, dann kannst du wieder gehen und irgendwann wiederkommen, ganz wie du willst.«
    Mit noch mehr Mühe als beim Hereinkommen – dieses Mal musste ich ziehen und nicht drücken – öffnete ich die Tür und hielt sie der Frau auf: »Bitte sehr, gnädige Frau, das fehlte noch, dass ich Sie respektlos behandle, bei Ihrem Alter!«
    Jetzt wurde sie richtig wütend und blaffte mich an: »Meinst du wirklich, du kannst dir alles erlauben, nur weil du behindert bist?«
    »Und Sie meinen, der ganzen Welt erklären zu dürfen, was richtig und was falsch ist, nur weil Sie gehen können?«
    Sie wollte noch etwas hinzufügen, als sich ein
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