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Ausgesetzt

Ausgesetzt

Titel: Ausgesetzt
Autoren: James W. Nichol
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versuchte, die Tür zu öffnen, doch sie war verschlossen. Er trat zurück, um noch einmal einen Blick auf das Gebäude zu werfen. Ganz so vielversprechend wie im Dunkeln sah es nicht mehr aus. Er sah, dass ein rostiges Stück Dachtraufe herunterhing und Streifen von Taubenkot die roten Ziegel wie willkürlich gesetzte Pinselstriche und die beiden Fensterbretter wie Girlanden zierten. Die Verursacher dösten zu Dutzenden auf der Kante des Blechdachs. Sprünge im Glas waren mit ausgefransten Streifen weißen Gewebebands repariert worden, und eine Scheibe war durch etwas ersetzt worden, das aussah wie ein Teil einer Cornflakesschachtel.
    »Was gibt’s?«
    Ein winziger, unrasierter Mann in einer beigen Windjacke, die ihm zwei Nummern zu groß war, und mit einer Brille, die er auf der Nasenspitze balancierte, öffnete die Tür der Pfandleihe und schaute Walker über seine Brille hinweg eindringlich an.
    Die Church Street war jetzt wesentlich belebter. Autos und Lieferwagen und Taxis kämpften Stoßstange an Stoßstange um einen Platz auf der engen Straße. Hupen ertönten, Abgase erfüllten die Luft, ein Windstoß fegte alte Zeitungen und weggeworfene Zigarettenpackungen den Gehsteig entlang.
    »Nichts. Ich interessiere mich nur für die Wohnung, aber da steht ›drinnen nachfragen‹, und die Tür ist zugesperrt.«
    »Wenn diese Tür nicht abgeschlossen wäre, wissen Sie, was hier los wäre?«
    »Nein.«
    »Das wollen Sie nicht wirklich wissen, und das will ich nicht wissen. Besoffene, Drogensüchtige, Nutten, Penner. Sie wollen eine Wohnung mieten?«
    »Ja.«
    »Kommen Sie rein. Kommen Sie«, sagte der Mann, verschwand im Laden, schaltete die piepsende Alarmanlage aus und das Licht an drei verschiedenen Stellen an.
    Der Laden war bis zur Decke vollgestopft mit allem, was einem nur einfallen konnte, von Stereoanlagen über aufwendig verzierte Messinglampen und Mikrowellenherde, bis hin zu Schwertern, Musketen und von der Decke hängenden elektrischen Gitarren.
    Der Mann trat hinter eine lange Theke mit Glasplatte, unter der Münzsammlungen, Uhren, Schmuck und Messer aller Art lagen. Er zog seine Windjacke langsam aus, hängte sie an einen Kleiderständer aus Holz und wandte sich wieder Walker zu.
    »Drinnen nachfragen heißt hier drinnen«, sagte er. »Ich hab zwei hübsche Wohnungen. Zufällig gerade frei.«
    »Das ist ja großartig.«
    Der Mann nahm seine Brille ab, zog ein sauberes weißes Taschentuch hervor und putzte die Gläser. Walker hatte das in seinem ganzen Leben noch nie jemanden tun sehen, außer Leute in alten Schwarzweißfilmen.
    »Ich hab eine Zweizimmerwohnung, ich hab eine Einzimmerwohnung.«
    »Also, ich glaube, die Einzimmerwohnung wird reichen.«
    »Dann sind Sie also allein?«
    »Ja.«
    »Wie steht’s mit Arbeit?«
    »Ich bin erst gestern abend angekommen. Heute suche ich mir eine Arbeit«, sagte Walker und sah den Mann mit festem Blick an.
    Der Mann setzte seine Brille wieder auf. Walker schätzte ihn auf knapp sechzig. Er hatte graues, schütteres Haar. Sorgenfalten, wie seine Mutter sie nannte, waren tief in sein Gesicht eingegraben.
    »Sie sind ein ehrgeiziger junger Mann?«, fragte er.
    »Ich mache jede Arbeit.«
    »Können Sie sich fünfhundertfünfzig im Monat leisten, elfhundert im voraus für die erste Miete und die Kaution?«
    »Sicher.«
    »Wann?«
    »Jetzt sofort. Und innerhalb einer Woche habe ich einen Job.«
    Der Mann sah Walker noch einmal lange an, musterte ihn von oben bis unten, mit seiner abgenutzten Hockeytasche über der Schulter, seinem schwarzen Haar, das ihm lässig in die Stirn und über den Kragen seiner Jacke fiel.
    »Wenn ich keine Arbeit finde, haben Sie immer noch die Kaution«, fügte Walker aufmunternd hinzu.
    Der Mann lächelte dünn und nickte.
    Nachdem er Reiseschecks im Wert von elfhundert Dollar ausgestellt hatte, besaß Walker noch neunhundert, zusätzlich zu den achtzig Dollar Bargeld. Dafür war er jetzt stolzer Besitzer zweier Messingschlüssel, einer für die Haustür und einer für die Wohnungstür. Es stellte sich heraus, dass seine Wohnung der zur Straße gelegene Raum mit den zwei hohen, schmalen Fenstern unter der Dachtraufe war.
    Das Zimmer war sehr geräumig und hoch, hatte Tapeten voller Wasserflecken und aluminiumfarben gestrichene Heizkörper.
    Es gab ein kleines Bad am Ende eines engen Flurs, ohne Wanne, dafür mit Dusche, und eine fensterlose Küche, groß genug für einen kleinen Tisch, wenn er einen gehabt hätte. Ein Herd stand darin und
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