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Ausgesetzt

Ausgesetzt

Titel: Ausgesetzt
Autoren: James W. Nichol
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ein Kühlschrank, die aussahen wie jene, die die Leute im Norden in ihre Blockhütten schleppten – alt, gelb und nahe daran, den Geist aufzugeben.
    Doch es war Walkers erste eigene Wohnung, und für ihn war es die tollste Wohnung in ganz Toronto.
    Begleitet vom Geflatter und Gekreische eines Taubenchors schob er eines der Fenster auf.
    Er steckte den Kopf hinaus und inspizierte die Church Street, die Kirche auf der anderen Straßenseite und den Park, der sie umgab.
    Ein paar Männer und Frauen – Obdachlose, wie er später feststellen sollte – sammelten sich auf den Bänken unter den dichtbelaubten Bäumen. Weiter hinten konnte er hohe Bürogebäude erkennen. Das Hupen von Autos, das Dröhnen von Motoren, das Klingeln und Rattern von Straßenbahnen erfüllte die Luft. Straßenhändler brüllten, Kurierfahrer flitzten auf ihren Fahrrädern vorüber, und Menschen eilten hierhin und dorthin, ohne groß auf den Verkehr zu achten, weil sie, wie Walker vermutete, an den Lärm und das Durcheinander längst gewöhnt waren.
    Eine schwarz-weiße Katze landete auf dem Fensterbrett. Ihre Schnauze war mit alten Kampfnarben übersät, und eines ihrer Ohren fehlte so gut wie ganz. Nach einem Augenblick kühner Berechnung rieb sie ihren runden Kopf an Walkers Arm, trippelte an ihm vorbei und sprang ins Zimmer hinein. Mit hocherhobenem Schwanz glitt sie geräuschlos durchs Zimmer und den Flur entlang auf der Suche nach der Küche.
    Walker saß auf dem Boden neben dem Fenster. Die Katze war, weil sie eine leere Küche vorgefunden hatte, zurückgekehrt und legte sich nun neben ihn. Walker streichelte ihren knubbeligen Kopf, und sie begann zu schnurren, laut wie ein Außenbordmotor.
    Lange saß Walker so da, beobachtete und lauschte, was in der Welt draußen vor sich ging. Dann breitete er den Brief auf dem abgescheuerten Hartholzboden aus und legte das Foto der Frau und der zwei kleinen Mädchen daneben. Erneut betrachtete er das dunkelhaarige Mädchen, das sich halb abwandte.
    »Ich bin da, Mom«, sagte er.
     
    An diesem Nachmittag ging Walker in den Goodwill Store in der Jarvis Street, um sich ein paar gebrauchte Möbel zu besorgen. Er erstand ein cremefarbenes Schlafsofa aus Kunstleder mit einer nicht allzu fleckigen Matratze, einen kleinen Holztisch und zwei Holzstühle, glänzend schwarz lackiert, eine kleine Kommode, an der das ursprüngliche Furnier stellenweise noch zu sehen war, und einen kleinen tragbaren Fernseher mit Zimmerantenne. Alles zusammen kostete ihn fünfhundertsechzehn Dollar inklusive Steuer, und man versprach ihm, die Sachen gleich am nächsten Tag zu liefern.
    Jetzt blieben Walker noch etwas über fünfhundertsechzig Dollar. Nur einen Tag früher hatte er noch mehr als zweitausend besessen. Etwas anderes hatte er zwar eigentlich nicht erwartet, dennoch verschlug ihm die Plötzlichkeit, mit der er sein Geld losgeworden war, den Atem.
    In einem Laden an der Ecke kaufte er sich eine Zeitung und einen Stadtplan, dann drehte er sich eine Zigarette und marschierte die Adelaide Street hinunter.
    Arbeit zu finden gestaltete sich schwieriger, als er gedacht hatte. Als es sechs wurde, war er in über einem Dutzend Fabriken, Restaurants und Läden gewesen, war dort jedoch nur auf andere Arbeitsuchende gestoßen. Anscheinend hatte eine Rezession eingesetzt. Oder eine Depression. Je nachdem, ob man seinen Job mit letzter Kraft gerade noch festhalten konnte, oder ob er einen schon abgeschüttelt hatte.
    Er hatte sich bereits eine Bratpfanne und einen Wasserkessel gekauft, einen Büchsenöffner, Messer, Gabel und Löffel, und jetzt kaufte er sich ein paar Lebensmittel und eine Sechserpackung Bier. Er machte sich Wiener und Bohnen zum Abendessen und aß sie direkt aus der Pfanne. Er dachte sich, dass er sich ein paar Teller leisten konnte, sobald er einen Job gefunden hatte.
    Er überlegte, was er noch alles brauchen würde – eine Müslischale, Gläser, Salz- und Pfefferstreuer, eine schier unendliche Liste. Und als die Sonne unterging, wurde ihm klar, dass er auch ein paar Lampen brauchte. Es gab nur zwei Deckenleuchten in seiner Wohnung, und keine davon im Wohnzimmer.
    Er saß im Dunkeln auf dem Boden, rauchte und trank sein Bier und sah zu, wie die Schatten und das Licht der Straßenlampen auf seinen beiden Fenstern Fangen spielten.
    Und wieder dachte er an diesen See, auf dem sich die zwei Mädchen hatten treiben lassen. Am 2. Juni 1964 in Mary’s Point.
    Im Norden war es an einem 2. Juni schon schwierig,
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