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Ausgebremst

Ausgebremst

Titel: Ausgebremst
Autoren: Wolf Haas
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durchschnittlichen Tag. Ein Wunder, daß sie einander überhaupt wahrnahmen. Dabei waren sie die leidenschaftlichsten Rivalen, die man sich vorstellen kann. Es verging kaum ein Jahr, in dem nicht einer von den beiden mit einem komplett neuen Wohnmobil aufkreuzte, um den anderen zu übertrumpfen. Das Wettrüsten der beiden war fast schlimmer als bei den Formel-1-Teams.
    Obwohl Steve und der Finne genau wie ich nur die europäischen Rennen begleiteten, weil sich der Transport zu den paar Überseerennen nie bezahlt gemacht hätte, scheuten sie keine Kosten, wenn es darum ging, die neuesten Mobilehomes aus den USA auf mühsame Weise selbst zu importieren.
    Als der Finne mit seinem 5-Liter-Turbo-Dieselmotor auftauchte, schaffte es Steve, schon bis zum nächsten Rennen ebenfalls auf den nur in den USA erhältlichen Motor umzurüsten. Als Steve mit den überbreiten Truck-Reifen protzte, von denen einer fast so viel kostete wie mein ganzer Bus, hatte der Finne sie schon zwei Wochen später in der Zwillingsversion montiert. Als Steve die Seitenwände seines Fahrzeugs zu leuchtenden Werbetafeln umfunktioniert hatte, überraschte uns der Finne mit einer elektrischen Gangway, die er jeden Morgen surrend aus seinem Wohnmobil gleiten ließ.
    Doch erst, als sie auf den Clou-Liner von Niesmann & Neff umstiegen, begann ich mich ernsthaft zu fragen, wie sie sich das leisten konnten. Heute weiß ich es, aber niemand will mir glauben.
    Auch Liberante Graziano hatte immer ein sündteures Wohnmobil, aber er machte wenigstens nicht so ein Tamtam um sein Fahrzeug. Vielleicht nur, weil ihn sonst sein strenger Cousin Bruno gleich zurechtgestutzt hätte. Liberante und Bruno Graziano waren zwar Cousins, aber so verschieden wie Vittorio Brambilla und Alessandro Nannini. Die Grazianos waren die ersten, die ich kennenlernte, als ich mich 1977 dem Grand-Prix-Zirkus anschloß.
    Schon 1976 hatte ich beim Grand Prix von Österreich in Zeltweg einen kleinen Tisch aufgestellt, wo ich selbstgedruckte Fanartikel verkaufte. Ein paar mit Nitroverdünnung vervielfältigte Poster und selbstkopierte T-Shirts. Als ich Anfang 1977 endgültig beschloß, daß etwas passieren mußte, kaufte ich mir einen gebrauchten VW-Bus und besorgte bei einem Großhändler ein paar hundert T-Shirts und Kappen. Ich war schon 27, hatte mein Studium abgebrochen, und da Theresa mit einem anderen Mann weg war, konnte ich genausogut bei allen europäischen Rennen als Händler dabeisein, statt daheim herumzusitzen und im Kreis zu denken.
    Damals kam der Zirkus jedes Jahr erst mit dem fünften Rennen aus Übersee nach Europa. Jody Scheckter und der nach seinem Nürburgring-Unfall wieder voll genesene Niki Lauda führten 1977 zu Beginn der europäischen Saison die Weltmeisterschaft mit je neunzehn Punkten gemeinsam an. Aufgrund meiner Unerfahrenheit reiste ich zum Grand Prix von Spanien bereits am Montag vor dem Rennen an, um mich in aller Ruhe durchzufragen und die Platzgenehmigung zu organisieren.
    Das Rennen fand in der ersten Maiwoche statt, und allein die Anreise mit dem alten VW-Bus war für mich ein Erlebnis. Nie werde ich vergessen, wie ich mit jedem Kilometer tiefer in den Sommer hineinfuhr. Ich erinnere mich genau, daß mich beim Losfahren noch das feuchte Aprilwetter deprimiert hat und in Jarama bereits der Sommer ausgebrochen war.
    Den letzten Ärger hatte ich am Zoll, aber kaum war ich über die spanische Grenze, erledigten sich alle Probleme wie von selbst. Mit meinem Englisch kam ich über die Runden, die spanischen Grand-Prix-Offiziellen waren unkompliziert, und für eine geringe Gebühr war ich binnen weniger Minuten im Besitz einer Genehmigung. Ich erhielt einen Plan mit über hundert Möglichkeiten, meinen Wagen aufzustellen, und da ich einer der ersten war, konnte ich mir den besten Stellplatz aussuchen. (Was mir nicht viel half, da ich damals noch keine Ahnung hatte, welche die besten Stellplätze sind. Man braucht viele Jahre, um bei allen Kursen die Qualität der Stellplätze richtig einzuschätzen. Was für Monza ideal ist, kann für Silverstone nur Mittelmaß sein, was sich in Andersdorp noch bewährte, war in Spa womöglich schon eine Katastrophe.)
    Am meisten überraschte mich die Hilfsbereitschaft der erfahrenen Fanartikelhändler. Zwei Italiener nahmen sich regelrecht meiner an. Bald bemerkte ich, daß die Freundlichkeit der beiden Cousins Bruno und Liberante Graziano nicht vollkommen uneigennützig war. Durch ihre fürsorgliche Art den Neulingen gegenüber
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