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Ausgebremst

Ausgebremst

Titel: Ausgebremst
Autoren: Wolf Haas
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Stiedls Lifthütte kein natürlicheres Thema, als über die eigenen Korrekturen zu sprechen.
    Als Antwort auf meine Frage schüttelte sie den Kopf und lächelte. Jetzt erst erkannte ich, daß sie ihr betörendes Lächeln gar nicht in erster Linie der Schönheit ihrer Lippen verdankte, sondern ihren Zähnen.
    «Sie wollen sich doch nicht Ihre Zähne korrigieren lassen!» entfuhr es mir. Tatsächlich waren ihre Schneidezähne etwas verdreht, und ihre Eckzähne blitzten bei jedem Lächeln vorwitzig aus der Zahnreihe hervor.
    «Ach ja, meine Vampirzähne», seufzte sie. «Nein, nein. Die lasse ich mir jetzt auch nicht mehr richten.»
    «Gott sei Dank», sagte ich. Ich hatte zwanzig Jahre lang keinem Menschen ein Kompliment gemacht, und ich war wohl noch etwas plump darin. Sie ging aber großzügig mit einem Lächeln darüber hinweg.
    Und jetzt erst bemerkte ich, daß es nicht ihr Mund war, der ihr Lächeln so betörend machte, sondern das tiefe Grün ihrer Augen, das mich anfangs an das Grün des Benetton-BMW von 1986 erinnerte, dann an das irische Grün des Jordan-Ford von 1991, in dem Michael Schumacher sein erstes Formel-1-Rennen bestritt, weil der arme Bertrand Gachot in Brixton im Gefängnis dunstete.
    Aber auch das Bild des Jordan löste sich schnell wieder auf, und ich sah nur noch ihre tiefgrünen Augen, während sie mir erzählte, weshalb sie hier war.
    «Ich bin vor einem halben Jahr wegen eines Nasenbeinbruchs operiert worden. Und weil es bei der Operation gleich in einem ging, hat mir Stiedl auch das hier weggenommen.» Sie deutete dabei auf ihre Nasenscheidewand, die zwei Millimeter weiter hinabreichte als ihre Nasenflügel.
    Erst jetzt erkannte ich, daß es dieser kleine Fehler war, der ihr Lächeln so betörend machte.
    «Ich habe verlangt, daß er es mir wieder zurückmacht.»
    «Gott sei Dank!» rief ich, und sie mußte lächeln.
    «Die Operation war schon vor ein paar Wochen, jetzt bin ich nur zur Nachkontrolle hier.»
    «Wie haben Sie sich denn die Nase gebrochen?» fragte ich.
    «Mein Mann», sagte sie ungerührt.
    Ich wußte nicht so recht, was ich darauf sagen sollte.
    «Und Sie? Warum sind Sie hier?» fragte sie.
    «Autounfall», erklärte ich.
Bobby
    Karoline ist nicht mehr zu ihrem Mann zurückgekehrt. Er war ein bekannter Bauunternehmer, der den Skandal fürchtete und so die Scheidung zu Karolines Bedingungen nur akzeptieren konnte.
    Das machte uns finanziell unabhängig, und seit einigen Wochen sind wir verheiratet. Über die Vergangenheit sprechen wir selten.
    Wenn es sein muß und sie zuviel fragt, rede ich mich darauf hinaus, daß mir der Autounfall teilweise das Erinnerungsvermögen geraubt hat. Sie ahnt wohl, daß ich etwas vor ihr verberge, aber sie denkt, es wären Geschichten mit anderen Frauen, vielleicht eine verschwiegene Ehe wie Herrn Wiesers Zweitehe in Macau, und ich lasse sie gern in dem Glauben.
    Ich habe immer noch Probleme mit dem Einschlafen, und wenn unser Kind erst einmal da ist, wird es wohl auch nicht besser werden. Oder positiv betrachtet: Ich bin es dann bereits gewöhnt, mit einem gestörten Schlaf über die Runden zu kommen.
    Den Grand Prix der Unschlagbaren fahre ich nicht mehr. Es ist mir schon in der Klinik aufgefallen, daß er mir nicht mehr half, einzuschlafen. Ein leeres Ritual, das mir nichts mehr brachte.
    Manchmal gelingt es mir jetzt, einfach so einzuschlafen. Und manchmal muß ich meine Schlaflosigkeit eben akzeptieren. Sobald ich einmal schlafe, schlafe ich ja tief und fest, und ich hole einfach am Morgen nach, was ich am Abend versäumt habe. Nur wenn ich sehr nervös bin, greife ich zu einem neuen Trick.
    Ich führe mir vor Augen, wie Bobby die Beschäftigungstherapeutin abschlachtete. Es hat nichts Trauriges, sich den Tod eines Menschen vorzustellen, der ohnehin schon lange tot ist.
    Trotzdem macht mich diese Vorstellung traurig, und die Traurigkeit macht mich müde.
    Es macht mich traurig, daß ich der Beschäftigungstherapeutin nie mein Weihnachtslied vorstellen konnte. Ich wüßte gern, was sie dazu gesagt hätte. Vielleicht hätte sie sich gefreut, daß kein einziger Helm darin vorkam. Wenn ich im Bett liege und sehe, wie Bobby die Beschäftigungstherapeutin ersticht, kommen mir immer die paar Zeilen in den Sinn.
    Schönes Weihnachtslied
    Die erste Erinnerung meines Lebens:
    Wie ich in den Schnee pißte,
    und der wurde gelb, halleluja!
    Das kühle Grün meiner Rotzglocken läutete,
    als der Pfarrer in die Kälte hauchte:
    Dies ist mein Blut!
    Beim
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