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Ausgebremst

Ausgebremst

Titel: Ausgebremst
Autoren: Wolf Haas
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die Idee eines vollkommen neuen Aussehens, aber es überforderte mich, mir ein konkretes Gesicht auszuwählen. Stiedl bot mir dutzendweise Nasen, Ohren, Augenbrauen und Lider, Wangenknochen und Haaransätze an, aber es fiel mir schwer, mich zu entscheiden. Ich bat Stiedl, für mich zu entscheiden, einfach die fachlich sinnvollste Variante zu wählen.
    Insgesamt führte Stiedl in drei Wochen fünf Operationen an meinem Gesicht durch. Hätte er die gesamte Veränderung in einer Operation durchgeführt, hätte ich beim Blick in den Spiegel wohl vor Schreck durchgedreht. So konnte ich mich aber Schritt für Schritt daran gewöhnen, daß ich mich selbst nicht mehr erkannte.
    Hatte ich früher am ehesten Ähnlichkeiten mit Denis Hulme (besonders, seit mir die Haare ausgingen) und David Coulthard (ein ähnlich zu breit geratener Unterkiefer), so verpaßte Stiedl mir ein Gesicht, das mich anfangs frappant an David Purley erinnerte.
    Die Ähnlichkeit mit David Purley trat aber mit der Zeit in den Hindergrund, und ich lernte, das Gesicht als mein eigenes zu akzeptieren.
Karoline
    Ich lebte noch ein paar Monate in der Klinik. Theresa besorgte mir einen Paß auf einen neuen Namen. Es fiel mir leichter, mir einen neuen Namen als eine neue Nase auszusuchen.
    In diesen Monaten verbrachte ich auch privat viele Abende mit Theresa und ihrem Mann. Er hatte zwar selten Zeit, da er meistens bis spät in die Nacht an seinem Computer arbeitete, aber wenn wir so zu dritt vor dem Fernseher saßen, konnte man glauben, es wären keine zwanzig Jahre vergangen, sondern nur zwanzig Stunden.
    Ich wäre immer noch der Medizinstudent und Theresa meine Freundin und Stiedl mein bester Freund und unser Mitbewohner.
    Aber ich spürte, wie das neue Gesicht, das Stiedl mir verpaßt hatte, mich auch innerlich veränderte. Ja, ich hatte das Gefühl, daß ich mich überhaupt erstmals seit zwanzig Jahren veränderte. Ausgerechnet jetzt, wo der Abstand zu den beiden Menschen am geringsten war, gelang es mir langsam, die alte Geschichte auf Abstand zu bringen.
    Es gab sogar Momente, in denen ich Theresa und Stiedl wie zwei ganz normale Menschen sehen konnte.
    Aber es gab keinen einzigen Moment, in dem ich es bereute, daß alles so gekommen war. Keinen Moment, in dem ich bereute, siebzehn Jahre lang keinen Fuß auf die Erde gekriegt zu haben, sondern mit einem Wohnmobil durch Europa gekreist zu sein.
    Seit ich mein neues Gesicht hatte, tat es mir aber auch nicht leid, daß dieses Leben endgültig vorbei war.
    Vielleicht lag es daran, daß Stiedl mir gewohnheitsmäßig ein Gesicht gemacht hatte, das wesentlich attraktiver wirkte als mein altes. Theresa machte mir diesbezüglich so viele Komplimente, daß es mir langsam verdächtig wurde. Anfangs wollte ich es nicht wahrhaben, aber mit der Zeit wurde es nur allzu deutlich, daß sie darauf aus war, das Spiel von vor zwanzig Jahren mit umgekehrten Rollen zu wiederholen.
    Jetzt war es ihr Mann, der nur noch vor dem Computer saß. Und ich war es, der plötzlich ihre geschmackvolle Raumgestaltung lobte!
    Aber weiter ging ich nicht. Schließlich wollte ich mich nicht an Stiedl rächen. Ich wollte mich ja an Theresa rächen.
    Es gab viele Patientinnen in der Schönheitsklinik, die wesentlich hübscher waren als Theresa, die ja genau wie ich und die Formel-1-Weltmeisterschaft schon in die achtundvierzigste Saison ging.
    Karoline kam zwei Monate nach meiner letzten Operation in die Klinik. Als sie mich anlächelte, konnte ich gar nicht anders, als zurückzulächeln. Mein Lächeln fühlte sich noch sonderbar fremd in meinem Gesicht an, als müßte ich es erst nach und nach in mein Gesicht falten.
    Noch nie hatte ich so ein schönes Lächeln wie das von Karoline gesehen. Es war ganz anders als all die makellosen Lächeln der makellosen Schönheiten in der Klinik oder an der Seite der Formel-1-Stars.
    «Ist das operiert?» fragte ich sie und deutete bei meiner Oberlippe an die Stelle, wo sich ihr Mund so unnatürlich zur Nase hinaufwölbte, als hätte sich ein Kind mit dem Lippenstift der Mutter einen Zusatzmund gemalt. Im ersten Augenblick erinnerte mich ihre Lippe an den Frontspoiler des Ferrari, mit dem Jody Scheckter 1979 vor Gilles Villeneuve Weltmeister wurde. Aber gleich löste sich das Bild des extravagantesten Frontspoilers aller Zeiten wieder auf, und ich sah nur noch den schönen Mund.
    Meine Frage war nicht so indiskret, wie es für einen Außenstehenden vielleicht klingen muß, denn es gab unter den Patienten in
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