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Ausgebremst

Ausgebremst

Titel: Ausgebremst
Autoren: Wolf Haas
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Zandvoort abspielte.
    Williamson lag in der achten Runde auf dem dreizehnten Platz, als im Vollgas-Kurvengeschlängel die Vorderradaufhängung an seinem March brach. Purley sah, wie der Wagen vor ihm in die Leitplanken krachte, sich mehrmals überschlug und mit den Rädern nach oben in Flammen aufging. Er hielt sofort an und rannte zu dem brennenden March hinüber.
    Da der holländische Streckenposten sich nicht an das Feuer heranwagte, riß Purley ihm den Feuerlöscher aus den Händen. (So wie der Albaner, dem Sir die Krücke aus den Händen riß, um selbst auf mich einzuschlagen.)
    Aber ich spürte nichts. Genauso, wie das Benzinfeuer den kleinen Handfeuerlöscher nicht spürte. David Purley warf sich gegen das brennende Wrack, in dem Williamson noch immer eingeklemmt war, um es auf die Räder zu stellen. Als der Streckenposten ihn zurückhalten wollte, schlug er ihm die Faust ins Gesicht. So wie mir der Sir die Faust ins Gesicht schlug. Doch ich spürte es gar nicht.
    «Drei von uns hätten genügt, um den March auf die Räder zu stellen», klagte Purley nach dem Rennen seine Kollegen an, die ungerührt weitergefahren waren.
    Er hatte Williamson in dem brennenden Wrack minutenlang um sein Leben schreien gehört. Doch um Williamsons Eltern zu schonen, diktierte er den Journalisten: «Dies ist eure offizielle Version: Roger war bereits nach dem ersten Anprall auf der Stelle tot.»
    Auch ich habe nicht minutenlang um mein Leben geschrien, als der Albaner und der Sir in der ersten Nacht auf mich zukamen. Es gab keinen Grund zu schreien. Dies ist die offizielle Version, an der ich festhalte.
    David Purley s weitere Formel-1-Karriere verlief unspektakulär. Nie mehr stand er auch nur annähernd so im Rampenlicht wie nach seinem vergeblichen Kampf um das Leben Roger Williamsons. Obwohl ihm der Tod im Rennwagen erspart blieb, überlebte er Roger Williamson nur um wenige Jahre. Er starb bei einem Absturz mit seinem Privatflugzeug.
Madrid Jarama
    Die Rituale zur Festsetzung der Gefängnishierarchie waren für mich sicher leichter zu durchschauen als für andere Häftlinge. Vom ersten Moment an erinnerten sie mich an die Kämpfe unter den Fanartikelhändlern.
    Damals gehörten neben mir noch vier andere altgediente Händler zu den Kapos. Am jüngsten war noch der Finne, der gleichzeitig mit Keke Rosberg in die Formel 1 gekommen war und dessen Namen sich nie jemand von uns merken wollte. Obwohl es so einfach gewesen wäre.
    «Käkinen wie Mäkinen», bot er anfangs den finnischen Rallye-Weltmeister Timo Mäkinen immer als Merkhilfe an. Bis der finnische Neuling merkte, daß uns altgedienten Händlern alle Rennen außer der Formel 1 verhaßt waren. Abgesehen von den Nachwuchsformeln, aus denen die Formel-1-Fahrer kamen. Aber wir haßten Motorradrennen für spanische Zwerge, wir haßten Nudeltopfrennen für amerikanische Filmschauspieler, und ganz besonders haßten wir Rallyes für skandinavische FanartikelhändlerNamensvettern.
    «Nur mit K am Anfang wie bei Keke Rosberg», fügte der Finne immer hinzu, als hoffte er, ein Formel-1-Buchstabe könnte das Kraut noch fett machen. Aber das K von Keke Rosberg war eindeutig zu wenig, und als ein Jahrzehnt später der finnische Pilot Mika Häkkinen als Merkhilfe in der Formel 1 auftauchte, war es längst zu spät. Häkkinen hieß wie der Rallye-Weltmeister Mäkinen. Nur mit H am Anfang. Aber wie hieß unser Kollege? Der blieb einfach der Finne. Er war ja nicht einmal blond und mußte zufrieden sein, daß wir uns seine Nationalität merkten.
    Aber ich glaube nicht, daß der Finne aus diesem Grund so verbittert und muffelig wurde, nie ein Wort sagte und sich immer hinter seiner verspiegelten Rosberg-Sonnenbrille versteckte. Er war einfach so ein begabtes Rosberg-Double, daß er dessen rotzige Art mit der Zeit besser beherrschte als der finnische Formel-1-Weltmeister selbst. Er ließ sich den gleichen Seehundschnurrbart wachsen, der schon an Rosberg so abstoßend war, und er nuschelte sogar wie Rosberg! Und noch Jahre, nachdem Rosberg aus der Formel 1 verschwunden war, lief der Finne ausschließlich in seinem Rosberg-Outfit herum.
    Unser englischer Kollege Steve war wesentlich flatterhafter als der treue Finne. Das lag aber auch daran, daß es mehr englische als finnische Formel-1-Stars gab: James Hunt in den siebziger Jahren, Nigel Mansell in den Achtzigern, Damon Hill in den Neunzigern.
    Ich glaube, Steve redete in einer durchschnittlichen Minute mehr als der Finne an einem
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