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Ausgebremst

Ausgebremst

Titel: Ausgebremst
Autoren: Wolf Haas
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seiner Diskontkette TEXUNO aufgetaucht und kaufte nach und nach die kleineren Händler auf. Für uns war er mit seiner Ramschware keine wirkliche Konkurrenz, auch wenn er die Preise ruinierte. Aber wenn er nicht einmal den Namen David Purley kannte, dann mußte man sich wirklich fragen, was er hier suchte.
    «Das ist doch schon mindestens zehn Jahre her, daß Purley abstürzte», überging Steve demonstrativ die Frage des TEXUNO-Chefs. Der frühere James-Hunt-, spätere Nigel-Mansell- und Damon-Hill-Händler mit der arroganten Himmelfahrtsnase bildete sich manchmal ein, mit Liberantes Wissen mithalten zu können. Das war aber genauso lächerlich wie seine Vergleiche von Graham-Hill-T-Shirts mit Jochen-Rindt-T-Shirts!
    Trotz solcher kleinen Rivalitäten war es aber klar, daß Steve und ich und der Finne und die Grazianos immer zusammenhielten, wenn es gegen den TEXUNO-Chef ging.
    «Länger», grinste Liberante. «In den siebziger Jahren.»
    Besonders wenn er neben seinem Cousin Bruno stand, sah Liberante Graziano richtig komisch aus. Er war klein und kahl und ausgemergelt, und ich muß heute immer an den italienischen March-Piloten Vittorio Brambilla denken, wenn ich mich an Liberante erinnere. Und das, obwohl Liberante nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem kauzigen Vittorio Brambilla hatte! Aber aus irgendeinem Grund vermischt sich in meiner Erinnerung Liberantes hageres Gesicht immer mit dem Knollennasen-Gesicht Vittorio Brambillas.
    «Warum erzählst du uns dann heute, daß David Purley abgestürzt ist?» wollte Steve wissen. Es gefiel ihm, Liberante darauf hinzuweisen, daß er schon aktuellere Neuigkeiten zu bieten hatte.
    Liberante legte sein zerknittertes Gesicht in tausend Lachfalten: «Hör zu, ich bin noch nicht fertig. Ihr wißt ja, daß Paul Newman in Amerika Autorennen fährt.»
    «Ach, hör doch mit den amerikanischen Autorennen auf!» schrie Steve. Dazu konnten wir anderen nur nicken. Schließlich gibt es für einen Formel-1-Fan nichts Schlimmeres als die amerikanischen Bleifußrennen.
    «Ich bin der letzte, der die amerikanischen Rennen ernst nimmt», beeilte sich Liberante, den ungeheuerlichen Verdacht zu zerstreuen. In dieser Hinsicht wollte keiner von uns in ein schiefes Licht geraten, nicht einmal Liberante, der als wandelndes Formel-1-Lexikon eigentlich über den Dingen stand.
    «Ihr Italiener seid plötzlich zu den Amerikanern übergelaufen», stichelte Steve, «nur weil Teo Fabi einmal in Indianapolis Trainingsbestzeit fuhr.»
    Obwohl Steve damit nur Liberante ärgern wollte, plusterte sich auf einmal der TEXUNO-Chef auf, als fühlte er sich persönlich in seiner Ehre gekränkt. Natürlich witterte er nur eine Chance, sich mit den Grazianos zu verbrüdern. Sonst belächelten sie ihn nur, wenn er mit seinem Bentley die Runden drehte und die Verkäufer inspizierte, die er für einen Hungerlohn beschäftigte. Mit den hohen Absätzen war er schon fast einen Meter sechzig groß, aber trotzdem übersahen wir, daß er etwas wollte. Liberante bellte über seinen Kopf hinweg Steve an:
    «Ich rede nicht von den amerikanischen Rennen! Ich erwähne Paul Newman aus einem anderen Grund!»
    «Butch Cassidy and the Sundance Kid», lachte Steve.
    «Genau!» Liberante kaute mit seinen faulen Zähnen immer auf einem Streichholz herum, das er jetzt ausspuckte, zum Glück nicht auf den Kopf des TEXUNO-Chef s. «Paul Newman hat in einem Interview etwas Interessantes über den Film erzählt.»
    «Seit wann interessierst du dich für Film?» staunte Liberantes Cousin Bruno.
    «Es ging nicht um den Film», sagte Liberante.
    «Es ging nicht um die amerikanischen Rennen, und es ging nicht um den Film!» nörgelte Steve, der frühere James-HuntHändler. «Worum ging es in dem verdammten Interview? Um dickliche amerikanische Piloten? Um Piloten aus dem Altersheim?»
    «Es ging um Rennen und um Film», sagte Liberante in unser Gelächter hinein und steckte sich ein neues Streichholz in den Mund. «Newman war damals wütend, weil er an einem Wochenende gleich drei Reifendefekte hatte. Und er sagte, in Hollywood gibt es eine Regel.»
    «Jetzt bin ich aber gespannt», amüsierte sich Steve.
    «Dramaturgie!» dozierte Liberante. «Wenn ein Element einmal vorkommt, ist es ein Zufall. Wenn es zweimal vorkommt, ist es eine Frage. Wenn es dreimal vorkommt, ist es eine Antwort.»
    «Klingt ziemlich amerikanisch», fand Steve.
    «Was wollte Newman damit sagen?» fragte ich.
    «Daß es kein Zufall sein kann, wenn ihm an einem
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