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Ausgebremst

Ausgebremst

Titel: Ausgebremst
Autoren: Wolf Haas
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Wochenende gleich dreimal der Reifen platzt.»
    «Und was willst du damit sagen?» übertönte ich Steve, der murmelte, Newman sei wahrscheinlich in jeder Kurve über die Randsteine gefahren.
    Liberante kaute eine Zeitlang auf seinem Streichholz herum, dann sagte er: «Nicht nur David Purley ist mit dem Flugzeug abgestürzt. Auch ein anderer Engländer: Tony Brise.»
    «War Tony Brise nicht Ire?» fragte ich. Ich erinnerte mich gut an den rotzfrechen Fahrer, der kurz nach Roger Williamsons Unfall in der Formel 1 aufgetaucht war und schon mit 23 Jahren als zukünftiger Weltmeister gehandelt wurde.
    «Nordire!» giftete Steve mich an. «Also nicht Ire, sondern Engländer!»
    «Da habt ihr aber Glück gehabt.»
    «Wir brauchten kein Glück. Wir hatten James Hunt», grinste der frühere James-Hunt-Händler, mein alter Rivale aus den Zeiten Hunt gegen Lauda.
    Liberante ließ sich von unserem Geplänkel nicht stören. «Tony Brise löste etwas aus, das die Formel-1-Welt nicht mehr für möglich gehalten hatte: den Rücktritt des alten Graham Hill.»
    «Kennst du Graham Hill?» fragte Steve spöttisch den TEXUNO-Chef, der aber nur einen arroganten Blick aufsetzte. Er hatte inzwischen bemerkt, daß er in diesem Gespräch gegen uns Alteingesessene keinen Stich machen konnte.
    Die Frage war um so gemeiner, als Graham Hills Sohn Damon die Formel-1-Entdeckung des Jahres 1993 war und so überall die Erinnerung an seinen Vater wachgerufen hatte. Graham Hill war nicht nur für seine beiden Weltmeistertitel 1962 und 1968 legendär. Sein kantiges Gesicht mit den dunklen Augenbrauen, dem schmalen schwarzen Oberlippenbärtchen und den nach hinten geschmierten Haaren war das Klischeebild des Rennfahrers jener Tage.
    Aber Steve brauchte sich wirklich nichts darauf einzubilden, daß seine Graham-Hill-T-Shirts sich in letzter Zeit besser verkauften als meine Jochen-Rindt-Hemden. Keine Kunst, seit Graham Hills Sohn Damon in der Formel 1 fuhr. Schließlich verkaufte ich meine Jochen-Rindt-Hemden, ohne daß Jochens Tochter Natascha dafür auch nur einen Finger rührte!
    Damon hatte sogar das gleiche Helmmuster wie sein Vater. Ein Kranz feiner weißer Pfeile auf einem dunkelblauen Helm.
    Grahams Helm war allerdings nicht dunkelblau, sondern schwarz gewesen. An seinem Helm kann man die gewaltige Zeitspanne ablesen, die er in der Formel 1 überlebte. Ein besserer Nachttopf mit Schibrille Ende der fünfziger Jahre (aber bereits mit dem weißen Pfeilkranz) und in seinen letzten Jahren schon ein moderner Vollvisierhelm.
    1975 hatte der gealterte Rennstar sein eigenes Hill-Team aufgebaut. Er wollte nur noch so lange am Steuer seines eigenen Wagens sitzen, bis er einen echten Klassefahrer fand. Mitten in der Saison 75 verpflichtete Hill den 23jährigen Engländer Tony Brise.
    Brise fuhr in seinem ersten Rennen mit dem Hill-Ford auf Anhieb die siebentbeste Trainingszeit. Interessanterweise derselbe Startplatz, den Michael Schumacher 1991 in seinem ersten Formel-1-Rennen erzielte, eine Leistung, mit der er die Welt verrückt machte. Wie das Jordan-Team, in dem Schumacher debütierte (weil Bertrand Gachot im Gefängnis saß), war auch das Hill-Team zu diesem Zeitpunkt ein typisches Anfänger- und Nachzüglerteam. Und wie Schumacher gelang auch Tony Brise das Bravourstück beim Grand Prix von Belgien.
    Graham Hill war davon überzeugt, mit dem jungen Tony Brise den nächsten englischen Weltmeister entdeckt zu haben, und zog sich nach dessen glänzendem Einstand als Fahrer zurück. Damit war er der Pilot, der mit Abstand die meisten Formel-1-Rennen überlebt hatte. Eineinhalb Formel-1-Jahrzehnte, in denen über dreißig Fahrer tödlich verunglückt waren.
    Tony Brise beeindruckte die Formel-1-Welt auch in den restlichen Rennen der Saison 1975. In der letzten Novemberwoche testete er in Le Castellet bereits den neuen Hill-Ford für die nächste Saison. Le Castellet bedeutete für das Hill-Team den endgültigen technischen Durchbruch. Das gesamte Team war euphorisch über die Testergebnisse.
    Am 30. November flog Graham Hill mit seinem Privatflugzeug von Le Castellet zurück nach England. Mit an Bord waren Tony Brise und die Mechaniker. In der Nähe von London stürzte Graham Hills Maschine ab. Nur wenige Monate, nachdem Hill seine 176 Rennen dauernde Formel-1-Karriere beendet hatte.
    Keiner der Insassen überlebte. Das gesamte Hill-Team war auf einen Schlag ausgelöscht. 1976 wurde James Hunt auf McLaren der erste englische Weltmeister seit Graham
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