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Ausflug ins Gruene

Ausflug ins Gruene

Titel: Ausflug ins Gruene
Autoren: Kathrin Heinrichs
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immer, wenn Gäste kommen. Sehr viel zu tun haben die beiden nämlich nicht mehr.« Ich wurde das Gefühl nicht los, daß es sich bei den Pensionsbesitzern entweder um enge Verwandte der Bedienung handelte oder sie prozentual am Umsatz beteiligt war.
    »Wie lebt es sich denn hier so in Ihrer Stadt?« fragte ich wie beiläufig. Mein Gegenüber schien kurz darüber nachdenken zu müssen. Dann kam sie richtig ins Schwatzen. Ich hörte vergnügt zu und konnte mich in Ruhe meiner Torte widmen.
    »Nun, die Innenstadt ist sehr schön, und für so ein kleines Städtchen ist eigentlich ganz schön viel los. Theatergruppen, Musikveranstaltungen, Kino, mehrere Schwimmbäder – alles da. Nee nee, da kann man nicht meckern. Außerdem ist man von hier aus in einer dreiviertel Stunde in Dortmund.«
    »Aha.« Ich verkniff mir eine Bemerkung. Dortmund kannte ich von einer Ruhrgebietsreportage, bei der ich Angie mal begleitet hatte. Dortmund war dabei in der Hitliste unserer persönlichen Horrorstädte auf Platz zwei gelandet, knapp hinter Castrop-Rauxel.
    »Alles in allem kann man’s hier schon aushalten. Andererseits geht es mir schon manchmal auf die Nerven, daß hier alles so eng ist.« Sie suchte nach den richtigen Worten. »Ich meine, man trifft dieselben Leute überall wieder. Und dann auch noch immer an denselben Stellen, montags im kommunalen Kino, dienstags auf dem Markt, mittwochs–«
    Ich unterbrach mein Essen. »Aber die Stadt hat doch über 50.000 Einwohner!«
    »Das kann schon sein, wenn man alle Gemeinden mitzählt«, murmelte meine Gesprächspartnerin, »trotzdem: Wenn man einmal in das Stadtleben eintaucht, stellt man fest, daß im Grunde jeder mit jedem irgendwie zusammenhängt – übrigens nicht ganz ungefährlich.« Die Kellnerin schmunzelte. »Man sollte sich immer gut überlegen, zu wem man was sagt.« Sie wischte mit der Hand einen imaginären Krümel vom Tisch.
    »Aber Sie wird das nicht interessieren, wenn Sie nur auf der Durchreise sind.«
    »Ich bin nicht nur auf der Durchreise. Ich fange hier demnächst an zu arbeiten.«
    »Ach«, die lockige Kellnerin fand das interessant.
    »Ja, ich habe eine Stelle bekommen. Am Elisabeth-Gymnasium.«
    »Ach«, die lockige Kellnerin fand das auch interessant. »Sie sind Lehrer? Was unterrichten Sie denn?«
    »Deutsch und Geschichte«, antwortete ich. »Irgendjemand an der Schule ist wohl bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Deshalb ist eine Stelle frei geworden.«
    »Aha.« Die Stimme der Kellnerin hörte sich plötzlich verändert an. Ich stutzte. »Kennen Sie den Fall zufällig?«
    »Nur flüchtig.« Die Kellnerin stand auf. »Ich muß jetzt auch gehen.«
    In diesem Moment ging die Tür auf, und ein kleines Mädchen mit einem Tornister auf dem Rücken spazierte herein. »Ich muß mich um die Kleine kümmern«, sagte die Kellnerin. Sie nahm das Mädchen liebevoll in den Ann, hob ihm den Ranzen vom Rücken und verschwand mit ihm aus meinem Gesichtsfeld. Ich widmete mich wieder meiner Torte.
    »Wenn Sie wissen wollen, was in dieser Stadt los ist, müssen Sie das hier lesen!« Ein hellblondgelockter Mann um die vierzig wandte sich vom Nachbartisch aus an mich. Er hatte eine Zeitung vor sich liegen und hielt wie bei einem Migräneanfall eine Hand vor die Stirn.
    »Was ist denn das?« fragte ich neugierig.
    »Der Heimatkurier«, bekam ich zur Antwort. »Heute mit Folge drei der Serie »Unsere lieben Vierbeiner«. Nachdem ich gestern erfahren habe, daß Katze Muschi von Frau Gerlinde Rastmeier aus der Vierkantstraße den Fernsehknopf mit der rechten Vorderpfote bedienen kann, erreicht mich heute die brandheiße Information, daß Mischlingshund Bobby aus der Turmstraße seinem Herrchen mit Vorliebe die Pantoffeln in den Kamin schmeißt.«
    »Da darf man wirklich auf Folge vier gespannt sein«, stimmte ich zu.
    »Ja, ich mutmaße, daß morgen ein Pferd vorgestellt wird, daß sich schon achtmal den Pferdeflüsterer reingezogen hat.«
    Der Lockenkopf legte die Zeitung beiseite. »So ist das eben. In einer Stadt wie unserer ist vieles eine Nachricht wert. Gar nicht so einfach, Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Winterlöcher zu stopfen. Nichtsdestotrotz. Wenn Sie mich fragen: Laura hat recht – Dreisam ist die beste Pension hier in der Stadt.« Ich brauchte einen Augenblick, um wieder zu den konkreten Fragen des Tages zurückzukehren. »Vor allem sind sie sehr preisgünstig–« Während er noch auf mich einredete, dachte ich daran, wie Angie mich vor den sturen
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