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Ausflug ins Gruene

Ausflug ins Gruene

Titel: Ausflug ins Gruene
Autoren: Kathrin Heinrichs
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Lust, Lehrer zu sein? Und wenn ja, wie überlebte man ein Vorstellungsgespräch bei dieser Schwester Wulfhilde?
    Dieselbe Frage stellte ich mir, als ich am nächsten Tag mit quietschenden Reifen den Parkplatz des Elisabeth-Gymnasiums erreichte. Eine halbe Stunde Verspätung! Das würde man mir nie verzeihen, selbst wenn ich dreifach habilitierter Professor mit dem Charme von Thomas Gottschalk und den Gehaltsvorstellungen eines Krankenpflegers im ersten Ausbildungsjahr wäre! Ich hetzte zur nächstbesten Glastür und rüttelte daran. Verschlossen. Verzweifelt lief ich um das Gebäude herum und entdeckte endlich eine mächtige Holzpforte. Ich rannte die Stufen hoch, die zum Portal führten. Aber als ich die Tür schwungvoll öffnen wollte, schien sie verschlossen. Ich lehnte mich mit meinem ganzen Körpergewicht dagegen – schließlich kannte ich die Kraftproben mit würdevollen Pforten. Ich hatte als Kulturreporter genug Kirchen- und Theatertüren geöffnet. Wenn jeder zehnjährige Pimpf durch diese Tür gelangen konnte, würde mir das auch gelingen. Das Drehen des Schlüssels hörte ich leider zu spät. Mit der vollen Wucht meines Körpers donnerte ich ins Innere des Gebäudes und landete beinahe bäuchlings vor den Füßen einer entsetzt guckenden Ordensschwester. Die erschrockenen Augen blickten gnädiger, als ich wieder nach oben kam.
    »Noch alles dran?« fragte eine hohe Stimme. Ich schluckte – diese Stimme gehörte eindeutig Schwester Wulfhilde.
    »Alles in Ordnung!« stotterte ich, obwohl mein Knöchel anschwoll wie ein schwäbischer Hefezopf.
    »Welch stürmischer junger Mann!« bemerkte Schwester Wulfhilde und musterte mich unauffällig. »Kann ich Ihnen irgendwie weiterhelfen?« Ich starrte sie verwirrt an. Sie schien überhaupt nicht zu ahnen, warum ich da war.
    »Ich bin wegen des Gesprächs hier«, brachte ich heraus, »eigentlich sollte es ja schon um fünf sein, aber wissen Sie, der Stau und–« Schwester Wulfhilde reagierte nicht.
    »Ich bin Vincent Jakobs«, sagte ich schließlich verzweifelt, »ich habe ein Vorstellungsgespräch bei Ihnen.«
    »Sie sind das also!« Schwester Wulfhilde lächelte hintergründig. »Na, dann wollen wir mal das Schicksal seinen Gang nehmen lassen!«
    Ich war zu durcheinander, um dieser Bemerkung irgendeinen Wert beizumessen. Was mich jedoch verunsicherte, war Schwester Wulfhildes undurchschaubare Art. Wollte sie mich mit einer gewieften Verunsicherungsstrategie testen, die noch in keinem Bewerbungsratgeber zu finden war? Oder hatte sie den Termin ganz einfach vergessen und die Situation geschickt überspielt? Wenn sie das Gespräch vergessen hatte, war es vielleicht schon gar nicht mehr wichtig. Vermutlich, weil man einen anderen Bewerber eingestellt hatte, der sich nicht ganz so dämlich angestellt hatte wie beim Vorsprechen für ein Dick-und-Doof-Revival.
    Mir blieb keine Zeit mehr zum Grübeln. Schwester Wulfhilde nahm mich ins Schlepptau und zeigte mir die Schule. Bedauerlicherweise lag das Gebäude wegen Elektroarbeiten im Halbdunkel, so daß mein einziges Interesse dem Bemühen galt, nicht schon wieder auf allen Vieren zu landen. Wenngleich mein Knöchel zusätzlich schmerzte, was mir den anmutigen Gang des Glöckners von Nôtre-dame verlieh, ließ ich dennoch immer mal wieder ein bewunderndes »Ah« und »Oh« erklingen. Nach einem halbstündigen Hindernislauf durch die Schule erwartete ich, nun endlich in ein Büro geführt zu werden. Schließlich hatte man noch kein ordentliches Bewerbungsgespräch mit mir geführt. Nichts da! Schwester Wulfhilde geleitete mich gut gelaunt zum Lehrerparkplatz. Das war’s dann wohl. Ein Gespräch mit mir schien man nicht mehr für nötig zu halten. Was soll’s, dachte ich. War ein netter Ausflug. Ein Ausflug ins Grüne sozusagen. Machte ja nichts. Schwester Wulfhildes Frage kam wie beiläufig: »Und, Herr Jakobs, darf ich darauf hoffen, daß Sie bei uns anfangen?« Beinahe wäre ich ihr erneut vor die Füße gefallen.
    »Aber Sie haben doch nicht – Ich meine, wir haben doch nicht–«
    »Wir haben uns doch sehr gut unterhalten, nicht wahr?« Schwester Wulfhildes Stimme schlug gerade von einer herkömmlichen Klarinette zu einer Piccoloflöte um. »Ich bin sicher, daß Sie mit unserem Kollegium sowie mit unseren schulischen Grundsätzen harmonieren. Außerdem waren Ihre Bewerbungsunterlagen ja durchaus ansprechend.« Ich traute meinen Ohren kaum. Wie konnte diese Frau sich so schnell für mich entscheiden?
    »Also, ich –
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