Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Auserkoren

Titel: Auserkoren
Autoren: PeP eBooks
Vom Netzwerk:
erhielt er ein pompöses Begräbnis. Aber zur Beerdigung der beiden
Babys von Schwester Janie fand nicht einmal die allerkleinste Versammlung statt.
    Seither sehe ich sie, wenn sie, erneut schwanger, draußen auf dem Friedhof an den beiden kleinen Gräbern kniet, die Bruder Abbott damals ausgehoben hatte, während sie daneben stand und zuschaute, mutterseelenallein.
     
     
    Jetzt schaut sich Prophet Childs im Wohnwagen um und sein Blick fällt auf uns. Mutter Victoria nimmt Emily in den Arm, die unbefangen sagt: »Der Prophet. Der Prophet. Seht ihr ihn?« Und dabei lacht sie vor Freude.
    »Bring das Mädchen zum Schweigen, Schwester Victoria«, sagt Onkel Hyrum. Er ist unzufrieden, das sieht man, seine Augenbrauen treffen sich direkt über der Nase.
    »Psst, sei jetzt still, Emily«, sagt Mutter Victoria. Angespannt blickt sie zu Onkel Hyrum, dann zu Bruder Fields und Bruder Stephens, zuletzt zum Propheten.
    »Eins, zwei, drei«, singt Emily.
    »Psst, psst«, flüstert Mutter Victoria. »Still jetzt, mein Schatz.«
    Emily verstummt. Aber sie schaut mich an und grinst. Sie zeigt mit dem Daumen nach oben, und wenn ich mir nicht so viele Sorgen machen müsste, würde ich darüber lachen.
    Schließlich sagt Prophet Childs zu Vater: »Bruder Carlson.«
    Vater nickt mit gefalteten Händen. Sein Gesicht ist
noch immer gerötet, aber um seinen Mund haben sich Sorgenfalten gebildet.
    »Ich habe frohe Neuigkeiten.«
    Laura, die unbeweglich neben mir sitzt, holt tief Luft. Sie nimmt meine Hand und drückt sie fest.
    »Ich war lange im Allerheiligsten des Tempels. Ich habe nachgedacht und gebetet …«, er zeigt mit dem Zeigefinger nach oben zur Glühbirne, »und ich habe mit Gott gesprochen. Er hat mir offenbart, dass deine älteste Tochter, Schwester Kyra, den Apostel Hyrum Carlson zum Ehemann nehmen soll. Sie wird seine siebente Frau im Herrn sein.«
    Plötzlich ist es totenstill. Nicht das leiseste Geräusch ist zu hören. Ich denke: Jetzt ist Vater doch nicht auserwählt worden. Und dann erst dämmert mir, was Prophet Childs gesagt hat.
    Ich? Wie? Ich soll verheiratet werden? Mir weicht das Blut aus den Adern. Ich kriege keine Luft mehr.
    »Ist das kein Grund zur Freude?«, fragt Prophet Childs, und Bruder Stephens ruft laut: »Lobet Gott, den Quell allen Heils.«
    Onkel Hyrum sieht mich an.
    Ich spüre, wie mein Gesicht brennt.
    »Die Feier wird Sonntag in vier Wochen stattfinden. Nach dem Gottesdienst«, verkündet der Prophet.
    Endlich finde ich meine Sprache wieder, und zwar noch ehe meine Mütter, noch ehe mein Vater etwas sagen kann. Lauras Hand drückt die meine fest und ich rieche Schweiß. Ich glaube, es ist mein Schweiß.
    »Wie bitte?«, frage ich.

    »Die Offenbarung kam zu mir so leuchtend klar wie die Sonne«, sagt Prophet Childs. Er blickt durch uns hindurch, als sähe er alles noch einmal. »Ihr beiden wart vor dem steinernen Altar, gehüllt in die hergebrachten Gewänder, Bruder Hyrum stand, du knietest zu seinen Füßen. Alles habe ich gesehen, alles. Du bist für ihn bestimmt.«
    Onkel Hyrum nickt. »Du wirst es gut bei mir haben, Schwester Kyra«, sagt er. »Wir werden Kinder für den Herrn großziehen.«
    »Das kann ich nicht«, antworte ich, und mir ist mit einem Mal speiübel. Ich stehe auf, Laura drückt meine Hand jetzt so fest, dass meine Finger blau anlaufen. Ich sehe, dass sie Tränen in den Augen hat. Ich wende mich zu Mutter Sarah. Sie sitzt kerzengerade auf ihrem Stuhl.
    Dann sagt Vater: »Prophet Childs, das muss ein Versehen sein. Dieser Mann ist mein Bruder.«
    Ich reiße mich von Laura los. Ich steige über meine Brüder und Schwestern, die blass geworden sind, ihre Gesichter scheinen mir so verschwommen wie davonfliegende Luftballons.
    »Eins, zwei, drei«, singt Emily.
    Mariah jammert leise. Weiß sie, wie mir zumute ist? Ich drehe mich zu ihr um und sie streckt die Hand nach mir aus. Aber es ist, als würde ich ein unscharfes Foto betrachten, eines, das sich immerzu ändert. Als ich zurückweiche und sie nicht auf den Arm nehme, reißt sie ihren kleinen Mund auf und fängt an zu weinen.
    Ich will weglaufen, aber Bruder Fields packt mich am Ärmel meines Kleids; er will mich festhalten, doch ich
schlage seine Hand weg und laufe hinaus in die Dunkelheit. Mariahs Gebrüll folgt mir nach.
    »Warte«, ruft jemand. Mutter Claire vielleicht? Dann: »Psst, Kleines. Sei jetzt still.«
    Wie kann das sein? Ist das die Strafe für meine Sünden? Habe ich jetzt alle wegen meiner Sünden ins
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher