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Auserkoren

Titel: Auserkoren
Autoren: PeP eBooks
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ausgegangen sind. Ich verstecke mich beim Hühnerstall, es stinkt so, dass ich dem Federvieh den Hals umdrehen könnte.
    Ich höre, wie der Prophet und Onkel Hyrum vorbeigehen.
    Ich höre, wie jemand die Tür zuschlägt, wie ein Kojote bellt und ein Hund zurückbellt.
    Ich höre, wie Mutter Sarah mich ruft, dann ruft mich mein Vater.
    Aber ich rühre mich nicht von der Stelle. Ich warte in der Dunkelheit, beim leisen Gackern der Hühner, bis ich
sicher bin, dass bei den Johnsons alle schlafen. Dann klopfe ich im Mondlicht, das inzwischen milchfarben ist, an sein Schlafzimmerfenster.
     
     
    Eines Nachmittags, als die Sonne wie eine Krone über den Bergen thronte, fragte ich meine Mutter, ob ich gehen dürfte, um Klavier zu spielen.
    »Nur in den Gemeindesaal«, sagte ich.
    »Natürlich«, erwiderte sie.
    Ich klemmte mir eine dicke Beethoven-Partitur unter den Arm und machte mich auf den Weg. Wenn ich mich beeilte, bliebe viel Zeit zum Spielen. Ich sog die Wüstenluft ein und erfreute mich an dem goldenen Licht, das den Tag beendete. Ich war glücklich, dass ich mich eine Zeitlang ganz in die Musik vertiefen konnte. Ich summte den Anfang des Concertos vor mich hin. Im Geiste sah ich die Noten der Kadenz vor mir, die mir noch Schwierigkeiten bereitete. Ich beschloss, diese Takte gleich zu Anfang zu spielen. Danach würde ich ganz ans Ende des Stücks springen und noch ein weiteres Viertelstündchen üben. Dann würde Frieden in mich einkehren …
    »Hallo, Kyra.«
    Ich zuckte zusammen, als ich die Stimme hörte. »Ahhh.« Dann sagte ich: »Was?« Und dann: »Ach, du lieber Himmel.«
    Joshua hatte mich eingeholt und ging neben mir her.
    »Oh«, sagte ich und strich mir übers Kleid.
    »Oh«, sagte auch er.
    Ich wurde rot.

    »Es gehört sich nicht, mich so nachzuäffen«, sagte ich. Verlegen ging ich weiter. Ein Windhauch vom Westen trug den Duft der Wüste bis hierher.
    Joshua lachte. »Entschuldige, Kyra«, sagte er und wich nicht von meiner Seite.
    Ich sah ihn nicht an. Ich ging durch die Parkplatzreihen vor dem Tempel und starrte vor mich hin. Etwas ärgerlich war ich schon, aber eigentlich eher verwirrt, und mehr noch erfreut darüber, dass mich Joshua abgepasst hatte.
    »Wo gehst du hin?«, fragte er mich.
    Ich deutete mit dem Kopf Richtung Gemeindesaal.
    »Warum? Heute Abend ist kein Jugendtreffen.«
    Ich blieb stehen, stemmte eine Hand in die Hüfte, so wie es Mutter Claire immer macht, wenn sie besonders unzufrieden ist, und fuchtelte mit der Partitur vor seiner Nase herum. »Klavier üben, wenn du’s unbedingt wissen willst.« Oh, bist du süß , dachte ich. So süß! Ach!
    Joshua nickte, dann schirmte er mit der Hand die Augen ab, weil ihn die untergehende Sonne blendete. »Darf ich mitkommen und zuhören?«
    Mein Herz machte einen Satz. Seine braunen Haare schimmerten golden im Licht der untergehenden Sonne, er sah so hübsch aus, ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Die einzigen Jungen, mit denen ich sonst zu tun hatte, waren meine Brüder. Und jetzt war Joshua Johnson da.
    »Meinetwegen. Ist mir egal«, sagte ich. Aber es war mir ganz und gar nicht egal. Denn da war Joshua mit seinem freundlichen Blick und seinem hübschen Gesicht und Schau mal, wie groß er ist , dachte ich, viel größer als
ich, und wie gut er aussieht in diesem karierten Hemd und mit den Bluejeans.
    Sieh nicht auf die Bluejeans.
    Du hast auf die Bluejeans gesehen.
    Ich griff nach der Eingangstür des Gemeindesaals, aber Joshua war schneller und hielt sie mir auf. Er bedeutete mir, ich solle weitergehen. Ich stürmte drauflos und stolperte, obwohl gar kein Hindernis da war.
    Geh einfach zum Klavier, fall nicht hin und brich dir nichts , dachte ich. Geh einfach zum Klavier.
    Ich hörte, wie ein paar Jungs in der Turnhalle Basketball spielten, ich hörte das Quietschen ihrer Tennisschuhe auf dem Fußboden und die dumpfen Aufschläge des Balls.
    »Du siehst gut aus heute, Kyra«, sagte Joshua. Er hielt mir noch eine Tür auf und dann standen wir in dem fast völlig dunklen Versammlungsraum.
    Er sah zum Klavier hin. Nur bis dorthin , dachte ich. Er ist so süß. So süß.
    »Soll ich Licht anmachen?«, fragte er.
    »Wenn du magst.« Ich setzte mich ans Klavier, meine Beine zitterten so, dass ich fürchtete, ich könnte nicht die Pedale treten.
    Die Neonlampen leuchteten auf und ein leises Summen erfüllte den Raum.
    Joshua zog einen Stuhl neben die Klavierbank.
    Ich schlug die Beethoven-Partitur auf. Ich war so nervös, dass
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