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Auserkoren

Titel: Auserkoren
Autoren: PeP eBooks
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für eine Weile. Das Nähen, das Waschen, das Essenkochen. Ja, sogar Klavier hatte ich geübt.
    Jetzt stand ich da, stand einfach nur da. Und dann hörte ich, wie sich hinter mir etwas auf der Straße näherte. Auf der Straße, die ganz nah an unserer Siedlung vorbeiführt.
    Es war die Rollende Bibliothek von Ironton, die auf mich zukam und in Richtung Florentin fuhr und dabei eine rote Staubwolke hinter sich aufwirbelte.
    Obwohl ich in der prallen Wüstensonne stand, lief mir doch ein kalter Schauer über die Arme, als der Wagen näher kam. Die Rollende Bibliothek rumpelte an mir vorbei. Sie kam aus dem Süden, und der Fahrer - er hatte ein glatt rasiertes Gesicht und seine Baseballmütze tief in die Stirn gedrückt -, der Fahrer nickte mir zu.
    Mein Herz war kurz davor zu zerspringen.
    Ich sah den Fahrer aus halb geschlossenen Augen an, wegen der Sonne und auch, weil er mir zugenickt hatte. Für wen hielt er sich eigentlich, dass er meinte, er könne
mir einfach so zunicken? Ich blickte ihm direkt in die Augen, auch wenn der Prophet der Meinung war, es sei eine Sünde, einem Ungläubigen in die Augen zu sehen.
    Ich war nicht mehr dieselbe, nachdem ich diesen Lieferwagen, diesen Fahrer, der mir zunickte, gesehen hatte. Ich weiß nicht, wie. Ich weiß auch nicht, warum.
    Am nächsten Tag ging ich zur gleichen Zeit an die gleiche Stelle. Ich hatte mich beeilt mit der Hausarbeit, ich hatte mich beeilt, meinen Müttern zu helfen, und auch mit den Klavierübungen. Hinter die Umzäunung, über den Fluss, weg von unserer Siedlung, ein großes Stück weit weg. Ich wartete und wartete. Keine Spur von einem Lieferwagen.
    Das Gleiche wiederholte ich am nächsten Tag und am nächsten und am übernächsten, bis eine ganze Woche vorüber war. Und dann kam er wieder angerollt, der Lieferwagen. Es war Mittwochnachmittag. Derselbe Mann saß am Steuer. Er nickte mir zu. Schon wieder.
    Mein Herz schlug bis zum Hals. Ich kniff die Augen zusammen und sah ihm direkt in die Augen.
    In der dritten Woche hielt er an.
    Staub wirbelte auf. Ich konnte ihn schmecken. Pulverisierter Sand.
    Der Mann kurbelte das Fenster herunter. »Du willst einen Bibliotheksausweis«, sagte er und schob die Baseballmütze zurecht. Er hatte mich nicht einmal gefragt.
    Und ich nickte ihm zu, so wie er mir in den vergangenen Wochen zugenickt hatte.
    »Vier Bücher auf einmal kannst du ausleihen«, erklärte
er, als ich zögernd in den Wagen stieg, wo es kühl war wegen der Ventilatoren und der Klimaanlage.
    Ich hatte noch nie so viele Bücher gesehen. Noch nie zuvor. Bei dem Anblick bekam ich feuchte Augen, ja, ich spürte Tränen aufsteigen.
    »Vier?«, fragte ich. Ich schmeckte den Sand auf meiner Zunge, er knirschte zwischen meinen Backenzähnen.
    »Vier.«
    Ich betrachtete den Mann. Ich betrachtete die Bücher. Ich stand einfach da, während mein Herz raste und raste.
    »Vielleicht nehme ich erst mal eins«, sagte ich.
    »Damit könntest du anfangen«, schlug er vor und gab mir etwas, das er aus einem Korb zu seinen Füßen hervorzog. »Ein Mädchen, etwa so alt wie du, hat es bei meinem letzten Halt zurückgebracht. Es hat ihr gut gefallen. Mir selbst hat es auch gut gefallen.«
    Bei seinem letzten Halt? Ein anderes Mädchen? Er hatte dieses Buch auch gelesen?
    Ich nahm das Buch und warf einen Blick auf den Einband. Die Brücke nach Terabithia.
    Ich war nur eine Minute lang im Wagen und ich nahm auch nur ein Buch mit. Eins, das war mir klar, konnte ich leichter verstecken.
    Aber wie sehr hat diese Begegnung mein Leben verändert. Von dem Moment an, als ich zu lesen anfing, war mein Leben ein anderes geworden. Ich war ein anderer Mensch geworden durch diese sündigen Zeilen.
    Wer war diese Katherine Paterson? Wer waren Jesse und Leslie? Waren das Leute, die die Verfasserin kannte? Ich verschlang das Buch.

    Und als ich es ausgelesen hatte als ich fertig war als ich auf der letzten Seite angelangt war und Leslie starb und Jesse ganz allein dastand ohne seine beste Freundin,
    da weinte ich so sehr, dass es Mutter Victoria nicht verborgen blieb. Als ich aus dem Versteck in meinem Baum kam, das Buch hatte ich zuvor in eine Astgabel geklemmt, hoch oben, wo die Dornen sind, da fragte sie: »Wo bist du gewesen, Kyra? Du hättest mir beim Brotbacken helfen sollen.« Dann sah sie mich an und sagte ganz bekümmert: »Was ist passiert, mein Liebes?«
    Aber ich konnte ihr ja nichts sagen. Nichts von Leslie oder May Belle oder von Jesse, der jetzt ganz allein war. Ich
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