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Auserkoren

Titel: Auserkoren
Autoren: PeP eBooks
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stehen. Und dann ist da auch noch Vater.
    »Lauf, Kyra. Verschwinde von hier, suche die Freiheit.« Er sagt es so sanft wie die beiden anderen, aber zugleich klingt seine Stimme drängender.
    »Ich versuche es ja, Vater«, sage ich und halte mich am Lenkrad fest.
    Ich fahre schneller. Ein bisschen schneller. Am Horizont sehe ich, wie die Sonne den Himmel hellblau erstrahlen lässt.
    »Fahre in die Stadt«, sagt Joshua.
    Joshua ist hier!
    »Das tue ich, Joshua.«
    Ich bin noch längst nicht dort, wo sie Patrick und mich angehalten haben, als das Telefon eine kleine Melodie zu spielen beginnt. Ich sehe es im Getränkehalter aufleuchten.
    »Das kann nicht sein«, sage ich.
    »Fahr an den Straßenrand, Kyra«, ruft jemand.
    Aber ich habe keine Zeit für die im Auto neben mir.
    Ich bin vorsichtig, als ich wähle. Vorsichtig, als ich die Sprechtaste am Telefon drücke. Vorsichtig, als ich das Telefon wieder in die Halterung zurückstelle.

    »Hier ist die Notrufzentrale. Womit kann ich Ihnen helfen?«
    »Ich laufe weg«, antworte ich.
    »Sprechen Sie bitte lauter.«
    Das Lenkrad hüpft in meinen Händen, als ich über die holprige Schotterpiste fahre.
    »Bleib stehen.«
    Ich werfe Bruder Laramie einen flüchtigen Blick zu. Ich sehe noch Bruder Nelson. Und ein Gewehr. Er hat ein Gewehr!
    »Helfen Sie mir!«, schreie ich.
    Ich will nicht sterben.
    (Patrick wollte auch nicht sterben. Er hatte eine Frau und einen Sohn.)
    »Sie haben ein Gewehr«, sage ich. »Sie haben ein Gewehr.« Wird es mir auch so ergehen wie Patrick?
    »Wo sind Sie?«
    Ich sage der Frau, auf welcher Straße ich fahre. Und womit ich fahre.
    »Sie sitzen in einer mobilen Bücherei?«, fragt sie nach.
    Bruder Laramie zeigt mit dem Gewehrlauf an den Straßenrand.
    Ich tue so, als wäre er Luft.
    »Sie haben schon Leute umgebracht«, sage ich. Ich nenne ihr Patricks Namen. Nenne ihr Ellens Namen, obwohl sie Ellen bestimmt nicht kennt. »Wenn ich anhalte, werden sie mich töten. Das weiß ich.«
    »Ich schicke Hilfe«, sagt die Frau. »Wir haben einen Streifenwagen in dieser Gegend.«
    Hier draußen? Mitten im Niemandsland?

    »Reden Sie weiter mit mir«, fordert sie mich auf.
    Ich weiß nicht, ob ich noch schneller fahren und dabei sprechen kann, aber ich fahre weiter. Am Armaturenbrett ertönt ein Warnsignal, und ein Licht blinkt, es zeigt an, dass ich fast kein Benzin mehr habe.
    »Wer sind Sie?«, fragt die Frau am Telefon.
    Ich kann nichts sagen. Ich kann nur das Lenkrad festhalten.
    »Kyra«, sagt Patrick in meinem Kopf. »Sag es ihr. Sag ihr, wo du wohnst.«
    »Die Erwählten«, sage ich. »Ich gehöre zu den Erwählten.« Es klingt, als wolle meine Stimme vor mir davonlaufen.
    Sie spricht mit jemand anderem, bittet um Unterstützung.
    Der Geländewagen fährt neben mir her.
    Tränen rollen mir übers Gesicht. Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass ich weine.
    Meine Hände tun weh.
    Der Schmerz in meinem Kopf, an der Stelle, wo sie mich erschießen werden, wenn ich anhalte, wird immer stärker.
    Bruder Laramie hält das Gewehr zum Fenster hinaus. Er schießt auf das Heck der Rollenden Bibliothek von Ironton. Ich höre, wie die Kugel das Metall durchschlägt. Ich schreie auf.
    »Halten Sie durch«, sagt die Frau am Telefon. »Halten Sie durch. Ich schicke Hilfe.«
    Und gerade als sie das sagt, sehe ich Blaulichter auf mich zukommen.

     
     
    Die Polizeiautos, zwei, drei, vier, rasen an mir vorbei und stoppen Bruder Felix, der in seinem Polizeiwagen hinter mir fährt (wie konnte ich ihn dort hinten übersehen?), und beide Geländewagen, die mir gefolgt sind. Sie zerren alle aus den Autos und legen ihnen, während ich zusehe, Handschellen an.
    Ich werde zu einem Polizeiauto gebracht, in dem eine Polizistin sitzt. Sie ist so wütend, als sie mein Gesicht sieht, dass sie aus dem Wagen springt, ehe ihr Kollege sie zurückhalten kann.
    »Bleib hier, O’Neil«, sagt der Polizist.
    »Den Teufel werde ich tun«, antwortet sie. »Ich habe es so satt, was diese Menschen mit ihren Kindern anstellen.«
    Sie steht in der Morgensonne und ihr Schatten fällt lang auf die Straße. Sie ist so wütend, dass sie fast auf Bruder Felix losgeht. Sie steht dicht vor ihm, schreit ihm ins Gesicht. Die anderen Polizisten sehen ihr zu. Einer grinst.
    Sie kommt zurück, mit der Hand an der Pistole.
    »Wer sind die?«, fragt sie mich. Sie hat ihre Sonnenbrille aufgesetzt. Sie ist verspiegelt, und als die Polizistin sich zu mir dreht, sehe ich mich selbst. Zwei Spiegelbilder. Ich und
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