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Aus der Spur

Aus der Spur

Titel: Aus der Spur
Autoren: Gregory Smith
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durch die Hintertür des Ladens flüchten sehen, anders als Chang vor so vielen Jahren. Vielleicht war das auch besser für den Jungen. Der Anblick von Tuens Leiche und seinem Mörder hatte Chang seine erste Begegnung mit Drachen beschert. Tuens Kugel tief in Changs Herzen war in Wahrheit ein Ei gewesen, und der brutale Mord an seinem Onkel hatte den Drachen daraus schlüpfen lassen. Das Tier hatte seine eigene Stimme, und die Wut in Changs Brust sagte: Rache.
    Der zuständigen Polizei war die Gang, die die Nguyens erpresst hatte, bekannt. Hauptsächlich versuchten sich die Typen an Bestechung, Immobilienbetrug und dem Vertrieb von heißer Ware aus Philadelphia. Sie waren aber noch nie durch übermäßige Gewalttätigkeit gegen die eng zusammenhaltenden vietnamesischstämmigen Einwohner von Norddelaware aufgefallen.
    In der kühlen Morgenluft glühten Changs Wangen vor Schamesröte. Nach Onkel Tuens Ermordung war sein Vater zu den Tongs gekrochen, um sie mit Geldgeschenken zu beschwichtigen. Wahrscheinlich hätte er den Rest seiner Tage unter ihrer Fuchtel verbracht, hätte Chang nicht Vergeltung an den Tongs geübt und seinerseits ihre Rache überlebt. Chang rieb den dicken Strang aus Narbengewebe, der sich über seinen Hals zog.
    Hatte Jason nicht nur aus Trauer, sondern auch vor Scham geweint?
    Chang konnte sich gut an die Mischung aus Erleichterung und Schmach erinnern, die ihn erfüllt hatte, als sein Vater sein Geschäft verkauft, New York verlassen hatte und nach Delaware gezogen war. Eine Stelle als Kunstprofessor war eine ehrenvolle Position, aber Chang hatte es nie verwinden können, dass sein Vater aus New York weggelaufen war.
    Chang und der Drache wollten Krieg; sein Vater wollte Frieden. Letzten Endes hatte beides einen zu hohen Preis gefordert. Chang war es nicht gelungen, die Kluft zwischen ihnen zu überbrücken, und sein Vater war einige Jahre später an Herzversagen gestorben.
    Rosiges Licht sickerte durch den frühmorgendlichen Dunst. Irgendetwas war seltsam an diesem Fall. Welche Rolle spielten die Lebensmittel? Sollte Chang vielleicht Nelson um Hilfe bitten?
    Nelson. Er war Changs bester Freund und seine größte Bürde. Es gab Tage, da wünschte sich Chang, der Kerl wäre einfach in New York geblieben. Aber schließlich war er es ja selbst gewesen, der Nelson hierher geschleppt hatte; folglich fühlte er sich auch für ihn verantwortlich.
    Mittlerweile tat Nelson nichts anderes, als sich in seinem kleinen Stadthaus in Bear einzuigeln und mit seinem Hund zu spielen. Er hatte Chang gegenüber behauptet, sein neuer Job in der Verwaltung würde ihm gefallen. Chang tat so, als würde er seinem alten Partner glauben, obwohl er wusste, dass es eine Lüge war. Nelsons Tage als Polizist waren vorbei.
    Wenn man Nelson auf einen Fall ansetzte, dann spürte er den Indizien so unerbittlich nach wie ein– zugegebenermaßen recht wunderlicher– Bluthund. Zumindest war das vor seinem Zusammenbruch so gewesen. Wäre es Nelson gegenüber überhaupt fair, ihn wieder in so eine Sache reinzuziehen?
    ***
    Ein Klirren wie von zerbrechendem Glas riss Chang aus seinen Gedanken. Er stiefelte zur nächsten Straßenecke und hörte gedämpfte Stimmen, dann plötzlich einen Schrei.
    » Gib ihm noch mal eine. Na, mach schon! Schlag zu! «
    Chang näherte sich der Straßenecke. Wer auch immer geschrien hatte, stöhnte jetzt nur noch. Dann vernahm Chang einen dumpfen Schlag. Das Geräusch erinnerte ihn an die alten Damen von Chinatown, die ihre Teppiche immer aus den Fenstern gehängt und mit Bambusklopfern bearbeitet hatten.
    Chang spähte um die Ecke. Zwei weiße Männer mit langen, wirren braunen Haaren standen mit dem Rücken zu ihm. Einer von ihnen hielt einen Baseballschläger aus Aluminium in den Händen. Vor ihnen lag ein ältlicher Schwarzer mit einem weißen, krausen Haarschopf auf dem Boden. Er war gut gekleidet, mit Sakko und einer Krawatte. Nicht weit vom Eingang einer Apotheke lag ein Schlüsselbund auf dem Gehsteig.
    Einen Moment lang begegnete der alte Mann Changs Blick mit schmerz- und angsterfüllten Augen. In Changs Brust regte sich der Drache.

Kapitel 4
    In den Fängen des Drachen
    Nach einem letzten Tritt lag der alte Mann bewusstlos auf dem Bauch. Die beiden Gangster hatten Chang immer noch nicht bemerkt.
    » Greif dir die Schlüssel. Mach schon! «
    Chang hatte den würzigen Geruch des Jasminöls aus Tuens Laden in der Nase. Der Drache wand seinen schuppigen Leib durch die Stangen seines Käfigs und
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