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Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter

Titel: Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter
Autoren: Guenther Bentele
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das Dickicht, und ich sehe im letzten Tagesschimmer eine schwarze Masse an einem vor Nässe glänzenden Wiesenhang aufragen. Nebelschwaden, ein breit ausladender Hof.
    Der Fremde wird sich in dem größten Gebäude zur Nacht begeben. Seine Begleiter ebenfalls. Wie immer. Wir Wächter dürfen nicht in die warmen Wohnräume. Wir müssen trotz des Regens draußen bleiben in der Kälte und in all der Nässe. Das heißt, die fränkischen Reiter gehen in die nächste Scheune und hauen sich aufs Ohr. Ich bin dann allein und umkreise die Gebäude wie ein Luchs. Und wenn ich Glück habe, kommt irgendwann ein gähnender Franke heraus und löst mich ab, nachdem er mich beschimpft hat.
    Die Kämme der Berge sind dunkel und verhangen.
    Da, Pferdegetrappel im Wald unter mir! Ich kralle meine Finger in die Zügel. Es ist deutlich zu hören. Die müssen sich sehr sicher fühlen. Kaufleute? Boten? Krieger? Aufständische Sachsen? Der Atem stockt mir. Aber ich glaube das alles nicht - Sachsen machen so weit in fränkischem Gebiet keinen Lärm, Fremde, die sich unbeobachtet fühlen, vielleicht schon. Straßen für Kaufleute gibt es hier in diesen Wäldern keine. Ein Bote würde alleine reiten. Es sind aber mehrere. Weiß der Teufel, wer reitet da nächtens durch den Wald?
    Ich kann nur hoffen, dass mein Gott Donar unserem Fremden wohlgesinnt ist!
    Zögernd wende ich mein Pferd. Schritt für Schritt reite ich zurück. Hören sie mich und reiten mir nach und packen mich und ziehen mich vom Pferd? Ich fühle schon, wie sie nach meinen Augen tasten -
    Ich fasse nach dem Schwert und lockere die Halterung meines Schildes. Unwillkürlich rücke ich meinen Helm zurecht und ducke mich vor den ersten Pfeilen.
    Ich stammle Gebete zu Wotan, dem Größten unserer Götter. Der Wald hier oben ist sehr dicht, und es ist jetzt ganz Nacht.
    Ich lausche. Nichts mehr! Sie haben mich nicht gehört und sind weitergeritten. Ich stelle mir alles genau vor - den Weg, den sie nehmen müssen, die Lage des Hofes am Hang. Sie reiten schnurgerade darauf zu. Jetzt lauern sie in der Nähe des Anwesens, das uns Unterschlupf gewähren soll. Sie sind bewaffnet, sie haben sich an verschiedene günstige Stellen verteilt. Wenn wir mit dem Fremden kommen, richten sie die ganze Kraft des Angriffs auf die Mitte - man nimmt das, was man schützen will, in die Mitte -; und sie reißen den Fremden aus unserem Haufen heraus, ehe noch ein Schwert richtig gezogen ist, und weg sind sie.
    So jedenfalls würde ich das machen, und ich habe Erfahrung in diesen Dingen.
    Das alles erzähle ich unserem Anführer, als ich wieder zu unserer Truppe stoße, nachdem ich zurückgeritten bin. Es ist jetzt Nacht, und ich sehe trotzdem lange die Augen des Mannes auf meinem Gesicht liegen, als gäbe es da etwas zu erforschen.
    Dann sagt er: »Sehr gut, sehr gut«, und er legt mir die Hand auf die Schulter.
    Sie haben sich dann beraten, und wir sind die ganze Nacht weitergeritten und haben nur zwei-, dreimal eine kurze Rast eingelegt.
    Wer ist dieser Fremde?
     
    Schon bald nach Tagesanbruch - es regnet immer noch - sehen wir im Tal Paderborn. Eine Stadt, die man mit Aachen, wo ich schon ein paar Mal gewesen bin, so wenig vergleichen kann wie unseren Pferdestall daheim mit dem des Königs. Am Himmel sind ein paar weiße Stellen, aber immer noch steigen Schwaden an den Berghängen hoch - es wird weiterregnen.
    Eine Kolonne von Reitern kommt auf uns zu. Die Reiter sind sehr kostbar gekleidet. Trotz des schlechten Wetters tragen sie teure Pelze und bunte Mäntel aus edlen Stoffen. Unglaublich sind ihre Rosse - Füchse, Rappen, Schimmel -, ich habe noch nie so schöne Reittiere gesehen, und ich verstehe etwas davon!
    Das edelste Ross reitet ein Herr in einem weiten, besonders prächtigen und prunkvollen Mantel aus Samt oder Seide - ich kann das nicht so genau unterscheiden - und natürlich mit viel Pelz. Ich dränge mein Pferd neugierig ein Stück vor, komme aber nicht bis in seine Nähe. Er wird von mehreren Männern abgeschirmt.
    Es ist ein überaus großer, aber auch feister Mann, mit unförmigem Leib und fleischigem Gesicht, darin ein kurzer Schnauzbart, der ihm an den Mundwinkeln etwas herunterhängt. Seine Stimme ist hell, als er dann zu sprechen beginnt, viel heller, als man erwarten würde.
    Dann geschieht etwas Unglaubliches! Dieser sehr mächtige Herr steigt von seinem Ross - und verneigt sich vor unserem Fremden! Er greift nach dessen Zügeln und führt sein Pferd ein paar Schritte weit.
    Alle
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