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Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter

Titel: Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter
Autoren: Guenther Bentele
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haben dem dicken Herrn ehrerbietig Platz gemacht und sich verbeugt. Jetzt endlich durchfährt es mich wie ein Blitzschlag: Der Herr ist König Karl! König Karl selbst!
    Und er hat das Pferd des Fremden mit eigenen Händen am Zügel geführt. Ich habe es selbst gesehen!
     
    Wer um des Himmels willen ist dieser Fremde? Ist es Jesus Christus, der neue Gott selbst? Einen Augenblick glaube ich es wirklich. Aber da sind diese Narben! Ein Gott mit Narben?
    Nun, Jesus Christus ist ein gekreuzigter Gott, sagen sie, ein Gott, der nach dem Tode wieder auferstanden ist, so mächtig ist er. Aber seine Narben wären an den Händen und Füßen und nicht im Gesicht - er kann es nicht sein.
     
    Wir alle reiten ins Tal hinab, das ich kenne, der Stadt zu; der König und der Fremde führen den Zug an.
    Ein Wind ist aufgekommen. Vor uns erhebt sich ein langes Gebäude mit einem Ziegeldach und einem großen Hof - die Pfalz, der Palast von König Karl.
    Der König steigt wieder vom Ross und führt eigenhändig das Pferd des fremden Gastes am Zügel in den Hof des Palastes! Er hält ihm dann auch die Zügel, bis er vom Pferd gestiegen ist.
    Ich kenne die Gepflogenheiten bei Hofe nicht: Aber ich hätte jede Wette angenommen, dass es niemanden gibt, dem König Karl auf diese Weise behilflich sein würde, so voller Ehrerbietung! Ihm, dem König selbst, werden die Zügel seines Rosses gehalten, denn er führt die Zügel des Reiches.
    Überall stehen Neugierige, Männer, Frauen, Kinder, und verneigen sich.
    Wir Wachmänner steigen alle ab und stehen nutzlos in einem großen Kreis auf dem Hof herum. Heimlich strecke und recke ich die vom langen Reiten steifen Beine und Arme.
    Die Männer aus der Leibwache des Königs schlagen mit den Schwertern gegen ihre Schilde. Wir machen es ihnen nach. Dabei weiß ich überhaupt nicht: Schlagen wir für den König an die Schilde oder für diesen Fremden? Eigentlich wird ja nur für den König gegen die Schilde geschlagen -
    An allen Fenstern Menschen.
    Auch der Unbekannte ist jetzt vom Pferd gestiegen. Der König hat ihm dabei unter die Arme gegriffen!
    Wir treten in den Palast, in einen riesigen Saal, in dem ein herrlicher Stuhl steht - der Thron. Wir sind im Thronsaal des Königs! Ich war zuvor schon ein paar Mal in Paderborn und habe die Pfalz des Königs gesehen - nicht im Traum hätte ich gedacht, dass ich einmal den Thronsaal betreten dürfte. An den Wänden sind herrliche Farben und Bilder, der Boden ist aus blankem Stein, in dem ich mich spiegeln kann wie in einem See, die Decke ist sehr hoch und aus mächtigen Holzbalken. Wir stellen uns ganz hinten auf.
    Die Herren, die mit dem König gekommen sind, stehen um seinen Thron, der König lässt sich nieder. Einer der Herren ordnet ihm dabei den Mantel. Vorher aber hat sich der Fremde auf einen Stuhl gesetzt, der nur für ihn vor dem Thron aufgestellt worden ist. Alle anderen Herren stehen im Halbkreis. Fackeln leuchten.
    Der Gast hat sich gesetzt, als der König noch stand!
    Jetzt erhebt sich der Fremde und nimmt aus einem Ledersack ein kleines Gerät. Es ist ein Kreuz! Ich kenne dieses Zeichen. Es ist das Zeichen des neuen Gottes. Es glänzt im Fackellicht und ist aus lauterem Gold!
    Auch der König hat sich jetzt wieder erhoben!
    Ist der Fremde ein Bischof?
    Nein! Keinem Bischof der Welt würde der König das Pferd am Zügel führen und ihm beim Absteigen aus dem Sattel helfen. Ich weiß, dass König Karl Bischöfe einsetzt und auch wieder absetzt, wie es ihm passt.
    Der seltsame Fremde hält jetzt das Kreuz hoch in die Luft; alle beugen ihre Knie, auch der König. Und mein Nachbar packt mich im Genick und drückt mich ebenfalls nieder.
    Der Fremde schlägt über uns das Kreuz, das Zeichen des neuen Gottes.
     
    Am Abend erfahre ich dann alles, als ich endlich einen Pferde-knecht am Hofe erwische, der mit einem Sachsen redet: »Du Dummkopf!«, sagt er auf meine Frage. »Bist du blind?«
    »Wer ist denn größer als König Karl?«, frage ich.
    »Niemand«, bekomme ich zur Antwort.
    »Was dann?«, frage ich weiter.
    »Gott ist größer«, sagt er.
    »Dann ist der Herr mit den Narben also Jesus Christus?«, frage ich ehrfürchtig.
    »Nein, du Dummkopf, aber sein Stellvertreter. Der Stellvertreter Gottes auf Erden!«
    »Es ist der Papst«, sagt der Franke, und ich falle vor Schreck schier auf den Rücken.
    Der Papst in Paderborn! Am Ende der Welt! Der Papst mitten im Urwald! Der Papst wohnt doch in seinem Palast, und der ist in Rom. Wo immer das auch
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