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Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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das für ein Kristallpalast, wo man noch zweifeln könnte? Indessen bin ich davon überzeugt, daß der Mensch auf wirkliches Leiden, das heißt auf Zerstörung und Chaos, niemals verzichten wird. Das Leiden – das ist ja der einzige Grund des Bewußtseins. Habe ich auch anfangs behauptet, daß das Bewußtsein meiner Meinung nach für den Menschen das größte Unglück ist, so weiß ich doch, daß der Mensch es liebt und es gegen keinerlei Befriedigungen eintauschen würde. So steht das Bewußtsein beispielsweise unendlich höher als zwei mal zwei. Nach dem Zwei-mal-zwei, versteht sich, bleibt nicht nur nichts mehr zu tun, sondern auch nichts mehr zu erkennen übrig. Alles, was dann noch möglich sein wird, ist – seine fünf Sinne verstopfen und in Kontemplation versinken. Nun, und wenn man für das Bewußtsein auch zum selben Ergebnis kommt, nämlich, daß nichts mehr zu tun sei, so kann man sich wenigstens zuweilen selbst auspeitschen, und das belebt immerhin. Es ist zwar rückständig, aber besser als nichts.

X
    Sie glauben an den Kristallpalast, den in alle Ewigkeit unzerstörbaren, also an etwas, dem man weder heimlich die Zunge herausstrecken noch die Faust in der Tasche ballen kann. Nun, und ich fürchte diesen Palast vielleicht gerade deshalb, weil er aus Kristall und in alle Ewigkeit unzerstörbar sein wird und weil man ihm nicht einmal heimlich die Zunge wird herausstrecken können.
    Sehen Sie einmal: wenn da anstelle des Palastes ein Hühnerstall wäre und es zum Regnen käme, so würde auch ich vielleicht in den Hühnerstall kriechen, um nicht naß zu werden, doch ich würde trotzdem den Hühnerstall nicht für einen Palast halten aus bloßer Dankbarkeit, weil er mich vor dem Regen schützt. Sie lachen? Sie sagen sogar, in diesem Falle wären Hühnerstall und Prachtbau ein und dasselbe. Gewiß, antworte ich, wenn man nur zu dem Zweck lebte, nicht naß zu werden.
    Was soll ich aber tun, wenn ich es mir nun einmal in den Kopf gesetzt habe, daß man nicht unbedingt nur zu diesem Zweck lebt, und wenn man schon einmal lebt, dann auch in einem schönen Haus leben sollte. Das ist mein Wollen, das ist mein Wunsch. Das können Sie nicht aus mir herauskratzen, ehe Sie nicht mein Wollen ändern. Nun, ändern Sie es, locken Sie mich mit etwas anderem, geben Sie mir ein anderes Ideal. Bis dahin aber werde ich einen Hühnerstall nicht für einen Palast halten. Es mag sogar sein, daß der Kristallpalast ein Schwindel und von den Naturgesetzen überhaupt nicht vorgesehen ist und daß ich ihn mir nur infolge meiner eigenen Dummheit ausgedacht habe, infolge gewisser altertümlicher irrationaler Gewohnheiten unserer Generation. Aber es geht mich nichts an, daß er nicht vorgesehen ist. Ist denn das nicht ganz gleichgültig, wenn er nur in meinen Wünschen vorhanden ist oder, besser gesagt, so lange vorhanden ist, wie auch meine Wünsche vorhanden sind? Vielleicht lachen Sie wieder? Aber bitte; ich nehme jeden Spott auf mich und werde mich auf keinen Fall verleiten lassen zu sagen, ich sei satt, wenn ich hungrig bin; ich weiß, daß ich mich mit einem Kompromiß nicht zufriedengeben werde, mit einer unendlichen periodischen Null, bloß weil sie nach den Naturgesetzen vorhanden, und zwar wirklich vorhanden ist. Ich werde niemals die Krönung meiner Wünsche in einem Mietshaus sehen, mit Wohnungen für kleine Leute, mit einem tausendjährigen Mietvertrag und mit dem Schildchen des Zahnarztes Wagenheim für alle Fälle. Merzen Sie meine Wünsche aus, vernichten Sie meine Ideale, zeigen Sie mir etwas Besseres, und ich werde Ihnen folgen. Sie werden vielleicht sagen, es lohne nicht, sich mit mir einzulassen; aber in diesem Falle wäre ich durchaus in der Lage, meinerseits dasselbe zu behaupten. Wir reden im Ernst miteinander; wollen Sie mich Ihrer Aufmerksamkeit nicht würdigen, werde ich Sie nicht darum bitten. Ich habe mein Kellerloch.
    Solange ich aber lebe und wünsche – mag meine Hand verdorren , wenn ich auch nur einen einzigen Ziegelstein zum Bau eines solchen Mietshauses beitrage! Lassen Sie sich nicht dadurch beirren, daß ich vorhin den Kristallpalast ablehnte, einzig aus dem einen Grunde ablehnte, weil man ihn nicht mit herausgestreckter Zunge wird ärgern können. Ich habe das keineswegs gesagt, weil ich es etwa besonders liebe, die Zunge herauszustrecken. Vielleicht habe ich mich nur deshalb aufgeregt, weil es unter all Ihren Gebäuden bis jetzt noch kein einziges gibt, dem man nicht die Zunge herausstrecken
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