Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
Vom Netzwerk:
Mensch liebt es, tätig zu sein und Wege zu bahnen, darüber läßt sich nicht streiten. Aber warum liebt er bis zur Leidenschaft auch die Zerstörung und das Chaos? Das sollten Sie mir erklären! Aber darüber möchte ich selbst ein paar Worte sagen. Liebt er, vielleicht, Zerstörung und Chaos deswegen so über alle Maßen (es ist ja unbestreitbar, daß er sie zuweilen sehr liebt, das ist nun einmal so), weil er sich instinktiv davor fürchtet, ans Ziel zu gelangen und das zu errichtende Gebäude zu vollenden? Woher wollen Sie wissen, ob er nicht vielleicht dieses Gebäude nur aus der Entfernung liebt, keineswegs in der Nähe; vielleicht liebt er nur, es zu errichten, in ihm zu wohnen, aber überläßt er später aux animaux domestiques , als da sind: Ameisen, Schafe, usw. usw. Da haben die Ameisen einen ganz anderen Geschmack. Sie haben ein bewunderungswürdiges Gebäude eben dieser Art, in alle Ewigkeit unzerstörbar – den Ameisenhaufen.
    Mit dem Ameisenhaufen haben die ehrenwerten Ameisen angefangen, mit dem Ameisenhaufen werden sie auch enden, was ihrer Beständigkeit und ihrem Wirklichkeitssinn große Ehre macht. Aber der Mensch ist ein leichtsinniges und unlauteres Wesen und liebt vielleicht, gleich dem Schachspieler, nur den Prozeß des Strebens zum Ziel, nicht aber das Ziel selbst. Und wer weiß (man kann nicht dafür bürgen), vielleicht liegt auch das ganze Erdenziel, dem die Menschheit zustrebt, allein in der Unaufhaltsamkeit des Strebens, mit anderen Worten – im Leben selbst, nicht aber in dem eigentlichen Ziel, das nichts anderes sein kann, versteht sich, als zwei mal zwei gleich vier, das heißt eine Formel; zwei mal zwei gleich vier ist aber nicht mehr Leben, meine Herrschaften, sondern der Anfang des Todes. Wenigstens hat der Mensch dieses Zwei-mal-zwei-gleich-vier immer irgendwie gefürchtet, ich aber fürchte es jetzt auch noch. Freilich, der Mensch tut nichts anderes, als diesem Zwei-mal-zwei-gleich-vier nachzujagen, er durchschwimmt Meere, er opfert das Leben, um es zu suchen; aber es zu finden, es wirklich zu finden – bei Gott, davor fürchtet er sich irgendwie. Denn er spürt, daß ihm nichts mehr zu suchen übrigbleibt, sobald er es gefunden hat. Die Tagelöhner bekommen nach Feierabend wenigstens ihren Lohn, gehen in die Schenke, um sich bald danach auf dem Polizeirevier wiederzufinden – nun, und damit wäre die Woche ausgefüllt. Und wohin soll der Mensch gehen? Jedenfalls kann man immer, sobald er ein ähnliches Ziel erreicht hat, eine gewisse Verlegenheit beobachten. Er liebt das Streben, das Erreichen aber ungleich weniger, und das ist selbstverständlich höchst lächerlich. Kurz, der Mensch ist komisch eingerichtet. Das alles ist offensichtlich ein Calembourg, aber zwei mal zwei gleich vier bleibt unter allen Umständen eine verdammt unerträgliche Sache. Zwei mal zwei gleich vier, das ist doch meiner Meinung nach eine Dreistigkeit, jawohl. Zwei mal zwei gleich vier hat einen unverschämten Blick, stemmt die Hände in die Hüften, stellt sich Ihnen in den Weg und spuckt. Ich gebe zu, daß zwei mal zwei gleich vier eine fabelhafte Sache ist; aber wenn man schon alles lobt, so ist auch zwei mal zwei gleich fünf mitunter ein allerliebstes Sächelchen.
    Und warum sind Sie so fest, so feierlich davon überzeugt, daß einzig das Normale und Positive, mit einem Wort: nur die Glückseligkeit für den Menschen vorteilhaft sei? Sollte da nicht die Vernunft in der Wahl ihrer Vorteile irren? Denn vielleicht liebt der Mensch nicht allein die Glückseligkeit? Vielleicht liebt er im gleichen Maße auch das Leiden? Vielleicht ist für ihn das Leiden ebenso vorteilhaft wie die Glückseligkeit? Und zuweilen liebt der Mensch das Leiden fürchterlich, bis zur Leidenschaft. Das ist eine Tatsache. Dabei ist man nicht einmal auf die Weltgeschichte angewiesen; fragen Sie sich selbst, falls Sie ein Mensch sind und falls Sie auch nur ein bißchen gelebt haben. Was meine persönliche Meinung betrifft, so ist die Liebe zur puren Glückseligkeit sogar irgendwie unanständig. Mag es gut oder schlecht sein – einmal etwas zu zerbrechen, ist ebenfalls äußerst angenehm. Ich bin eigentlich nicht für das Leiden, aber auch nicht für die Glückseligkeit. Ich bin … für meine Laune und dafür, daß ich sie jederzeit haben kann. Das Leiden wird zum Beispiel in Vaudevilles nicht zugelassen, das weiß ich wohl, im Kristallpalast ist es völlig undenkbar: Leiden ist Zweifel, ist Verneinung; was aber wäre
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher