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Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Allerhauptsächlichste und Allerteuerste, unsere Persönlichkeit und unsere Individualität. Es gibt manche, die behaupten, daß eben diese für den Menschen wirklich das Teuerste seien; das Wollen kann freilich, sooft es will, mit dem Verstand übereinstimmen, besonders, wenn man letzteren nicht mißbraucht, sondern sich seiner maßvoll bedient; das ist sowohl bekömmlich als auch zuweilen lobenswert. Sehr oft aber widerspricht nun das Wollen dem Verstand entschieden und hartnäckig, und wissen Sie, daß auch das bekömmlich und sogar manches Mal sehr lobenswert ist? Meine Herrschaften, nehmen wir an, der Mensch sei nicht dumm (das kann man wirklich unter keinen Umständen von ihm behaupten, schon aus dem Grunde nicht, weil es, wenn er dumm sein sollte, überhaupt keinen Gescheiten gäbe), so ist er immerhin – ungeheuer undankbar! Phänomenal undankbar. Ich glaube sogar, die beste Definition des Menschen wäre die folgende: ein zweibeiniges undankbares Wesen. Aber das ist noch nicht alles; das ist noch nicht sein Hauptfehler; sein Hauptfehler ist beständige Unmanierlichkeit, anhaltend von der Sintflut bis zur Schleswig-Holsteinischen Periode der Menschheitsgeschichte. Unmanierlichkeit, folglich auch Unvernunft; denn es ist längst bekannt, daß Unvernunft nicht anders entsteht als durch Unmanierlichkeit. Versuchen Sie es, werfen Sie einen Blick auf die Geschichte der Menschheit: nun, und was sehen Sie? Großartiges? Meinetwegen auch Großartiges; allein schon der Koloß von Rhodos zum Beispiel, was der wert ist! Nicht umsonst bezeugt doch Herr Anajewskij , er werde einerseits für ein Werk von Menschenhand und, andererseits, für ein Naturwunder gehalten: kunterbunt? Meinetwegen auch kunterbunt: wollte man sich in den Paradeuniformen der Militärs und Staatsleute aller Jahrhunderte zurechtfinden, das würde schon reichen; rechnet man die Vizeuniformen mit, so könnte man vollends Hals und Bein brechen. Kein Historiker würde damit fertig. – Monotones? Nun, meinetwegen auch Monotones: man prügelt sich und prügelt sich, man prügelt sich heute, man hat sich früher geprügelt, und man wird sich auch in Zukunft prügeln – Sie müssen selbst zugeben, das ist gar zu monoton. Man kann alles über die Weltgeschichte behaupten, alles, was dem krausesten Hirn nur einfallen mag. Nur eines kann man nicht behaupten, nämlich: daß sie vernünftig sei. Sie werden sich beim ersten Wort verschlucken. Dabei kann man auf Schritt und Tritt folgende Erfahrung machen: Fortwährend begegnet man im Leben äußerst manierlichen und vernünftigen Menschen, Weisen und Menschenfreunden, die sich zum Ziel setzen, sich ihr Leben lang möglichst manierlich und vernünftig zu betragen, mit der eigenen Person den lieben Nächsten sozusagen eine Leuchte zu sein, und zwar nur, um ihnen zu beweisen, daß man in der Welt tatsächlich sowohl manierlich als auch vernünftig leben kann. Und weiter? Bekanntlich sind viele dieser Menschenfreunde sich früher oder später, manchmal auch erst am Lebensabend, untreu geworden, indem sie irgend etwas anstellten, zuweilen etwas äußerst Anstößiges. Jetzt frage ich Sie: Was kann man nun von dem Menschen erwarten, von einem Wesen, das mit solch sonderbaren Eigenschaften ausgestattet ist? Überschütten Sie ihn mit allen Erdengütern, ertränken Sie ihn in Glück bis über beide Ohren, so daß an der Oberfläche des Glücks nur noch Bläschen aufsteigen, wie im Wasser, verschaffen Sie ihm einen solchen Wohlstand, daß ihm nichts anderes zu tun übrigbleibt, als zu schlafen, Pfefferkuchen zu knabbern und für den Fortgang der Weltgeschichte zu sorgen – so wird er Ihnen auch hier, dieser selbe Mensch, auch hier aus bloßer Undankbarkeit, aus Mutwillen einen Streich spielen. Er wird sogar die Pfefferkuchen aufs Spiel setzen und den verhängnisvollsten Unsinn wünschen, die unökonomischste Sinnlosigkeit, einzig, um in diese ganze positive Vernünftigkeit sein eigenes, verhängnisvolles, phantastisches Element einfließen zu lassen. Gerade seine phantastischen Gedanken, seine trivialste Dummheit wird er sich erhalten wollen, einzig, um sich selbst zu bestätigen (als ob das so sehr nötig wäre), daß die Menschen immer noch Menschen und nicht Klaviertasten sind, auf denen die Naturgesetze zwar eigenhändig spielen, dafür aber auch sich dermaßen einzuspielen drohen, daß man außer dem Kalender überhaupt nichts mehr wird wünschen wollen. Und nicht genug damit: Selbst wenn er sich wirklich nur als
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