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Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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schneit, naß, gelb, trübe. Gestern schneite es, und auch vor einigen Tagen hat es geschneit. Ich glaube, bei dem nassen Schnee erinnerte ich mich an jenen Vorfall, der mir nun nicht mehr aus dem Sinn gehen will. So mag es denn eine Erzählung bei nassem Schnee werden.

Zweiter Teil
    Bei nassem Schnee
Als aus dem Abgrund des Verderbens
durch glühend Wort des reinen Werbens
die sünd’ge Seele ich befreit,
rangst du voll Pein die blassen Hände,
zu mir geneigt verfluchtest du
der Laster Fessel;
als du dein flüchtiges Gewissen
durch der Erinn’rung Natternbisse
zu düstern Qualen hast geweckt,
kamst du zu mir mit einer Beichte
von allem, was dich jetzt erschreckt,
was vor mir war;
und plötzlich von dem Schmerz versengt,
dem unstillbaren, dunklen, großen,
wand’st du dich ab, empört, gekränkt,
und deine Tränen flossen … flossen …
usw. usw. usw.
Aus einer Dichtung von N. A.  Nekrassow

I
    Damals war ich erst vierundzwanzig Jahre alt. Mein Leben war auch schon damals düster, ungeordnet und einsam bis zur Menschenscheu. Ich pflegte mit niemandem Umgang, vermied nach Möglichkeit jede Unterhaltung und zog mich immer mehr in meinen Winkel zurück. Im Amt, in der Kanzlei, bemühte ich mich sogar, niemanden anzusehen, und stellte fest, daß meine Amtskollegen mich nicht nur für einen Sonderling hielten, sondern mich – immer wieder glaubte ich es zu beobachten – mit einem gewissen Ekel betrachteten. Immer wieder ging es mir durch den Sinn: Warum glaubt keiner außer mir, daß man ihn mit Ekel betrachtet? Einer unserer Kanzleibeamten hatte ein abscheuliches, pockennarbiges Gesicht, ein Verbrechergesicht, könnte man sagen. Ich glaube, ich hätte es nicht gewagt, mit einem so unanständigen Gesicht irgend jemanden auch nur anzublicken. Ein anderer hatte eine so abgetragene Uniform, daß es in seiner Nähe schon übel roch. Indessen genierte sich kein einziger von diesen Herrschaften – weder seiner Kleider oder seines Gesichts wegen noch aus sonst irgendeinem moralischen Grund. Weder der eine noch der andere hat sich je eingebildet, daß man vor ihm Ekel empfinden könnte; und selbst wenn sie es sich eingebildet hätten, sie hätten sich nichts daraus gemacht, solange nur die Vorgesetzten dies nicht zu tun geruhten. Jetzt ist mir vollkommen klar, daß ich mich selbst, infolge meiner grenzenlosen Eitelkeit, meiner grenzenlosen Ansprüche an mich selbst, ziemlich oft mit rasendem Mißmut betrachtete, einem Mißmut, der sich bis zum Abscheu steigerte, und so schrieb ich denn mein eigenes Empfinden allen anderen zu. Ich haßte beispielsweise mein Gesicht, fand es widerwärtig, vermutete, daß es irgendeinen niederträchtigen Ausdruck habe, und quälte mich deshalb, wenn ich ins Amt kam, immer damit, möglichst ungezwungen zu erscheinen, damit man mich keiner Niedertracht verdächtige, und in meinem Gesicht möglichst viel Edelmut auszudrücken. “Mag es auch ein unschönes Gesicht sein”, dachte ich, “dafür soll es edel, ausdrucksvoll und vor allem außerordentlich klug sein.” Zugleich hatte ich die unumstößliche, die leidvolle Gewißheit, daß ich all diese Vollkommenheiten mit meinem Gesicht niemals würde ausdrücken können. Ich fand es ausgesprochen dumm, und das war das schrecklichste. Klugheit hätte mir doch vollständig genügt, so daß ich sogar einen niederträchtigen Ausdruck in Kauf genommen hätte, aber nur unter der einen Bedingung, daß gleichzeitig alle mein Gesicht furchtbar klug fänden.
    Unsere Kanzlisten haßte ich natürlich, vom ersten bis zum letzten, verachtete sie alle, zugleich aber fürchtete ich sie auch gewissermaßen. Es kam vor, daß ich sie sogar plötzlich über mich erhob. Das geschah bei mir damals immer ganz plötzlich, bald verachtete ich sie, bald erhob ich sie über mich. Ein gebildeter und anständiger Mensch kann nicht ehrgeizig sein, ohne dabei grenzenlose Ansprüche an sich selbst zu stellen und sich in manchen Augenblicken glühend zu verachten. Aber ob ich zu ihm hinab- oder hinaufblickte, ich schlug doch vor jedem Menschen die Augen nieder. Ich stellte daraufhin sogar Versuche an: Würde ich den Blick wenigstens dieses Menschen aushalten können? Und jedesmal habe ich als erster die Augen niedergeschlagen. Das quälte mich bis zur Raserei. Außerdem fürchtete ich mich krankhaft, lächerlich zu sein, darum vergötterte ich sklavisch jegliche Routine in allen Äußerlichkeiten; mit Hingabe bewegte ich mich in ausgetretenen Spuren und erschrak aus
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