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Auferstehung der Toten

Auferstehung der Toten

Titel: Auferstehung der Toten
Autoren: Wolf Haas
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Rückenlehne der Couch genietet sind. Aus seinen Augen hätte man nicht das geringste Zeichen ablesen können, wann der Andi sich entschließt, etwas zu sagen. Aber auf einmal sagt er:
    «Der Lorenz ist mit mir zum See hinuntergelaufen. Ich hab gesagt, wir stellen es als Unfall hin. Oder besser gesagt: Es ist ja wahr! Der Vergolder ist selber schuld gewesen, sag ich zum Lorenz. Wenn er mit einer Zigarette im Mund tankt. Das werden alle so sehen, sag ich. Die Polizei, die Versicherung, alle sehen das so, sag ich. Wir müssen nur genau dasselbe aussagen, sag ich zum Lorenz. Daß der Vergolder –»
    Wie der Andi an der Stelle verstummt ist, hat der Brenner nicht geglaubt, daß er noch einmal was sagt. Weil er hat geglaubt, der löst sich jeden Augenblick in der Wohnlandschaft auf, und nur die gläsernen Druckknöpfe in der beigen Rückenlehne bleiben über. Aber dann hat der Andi gesagt:
    «Der Lorenz hat nichts davon wissen wollen. Er hat mich angeschrien, daß ich das mit dem Unfall auf keinen Fall sagen darf. Weil es unbedingt alle wissen müssen, daß er mit dem Vergolder abgefahren ist. Absichtlich abgefahren. So wie mein Chef immer schreit, wenn ihn ein Kunde ärgert: Mit dir werde ich abfahren. Hat der Lorenz geschrien, ich muß es jedem sagen, daß er absichtlich mit seinem Onkel abgefahren ist.»
    «Und wieso hast du das nicht getan?»
    «Aber ich hab es doch von Anfang an gesagt! Jedem hab ich es gesagt, daß es der Lorenz absichtlich getan hat.»
    Der Andi hat sich in der Wohnlandschaft aufgerichtet, daß man hätte glauben können, er muß sich deswegen rechtfertigen, nämlich vor dem Lorenz, nicht vor dem Brenner, weil er falsch ausgesagt hat.
    «Und daß der Lorenz verbrannt ist? Ist das auf deinem Mist gewachsen?»
    «Um den Vergolder ist es nicht schade. Um den Lorenz ist es schade.»
    Das ist jetzt schon wieder die Deutsche gewesen, die sich da eingemischt hat. Sie hat ihre dicke Brille abgenommen und mit den Armstümpfen ihre Augen gerieben. Weil natürlich, sie hat genauso ihre Augen reiben wollen wie jeder andere auch, wenn er müde ist. Aber der Mensch ist bei so was oft komisch, und dem Brenner ist es jetzt unangenehm gewesen, daß er ihr dabei zuschaut.
    Fünf-, sechsmal hintereinander hat sie genau dieselbe Bewegung gemacht. Mit dem rechten Armstumpf mit aller Kraft über die Stirn, und dann von der Außenseite zur Nase hin über das Aug gestrichen, daß du geglaubt hast, sie will sich das Aug in den Schädel hineindrücken. Dann wieder über die Stirn und über das andere Aug.
    Wie gesagt, es ist dem Brenner unangenehm gewesen, aber trotzdem hat er unmöglich wegschauen können. Jetzt paß auf, das ist nicht wegen der Armbewegungen gewesen, also wegen der Armstümpfe, sondern das ist wegen der Augen von der Deutschen gewesen. Er hat ja zum erstenmal überhaupt ihre Augen richtig gesehen, weil für normal sind die ja immer von den dicken Bifokalgläsern riesengroß vergrößert und verzerrt gewesen, daß du geglaubt hast: ein Fisch oder wie man es im Naturmuseum manchmal sieht, quasi ausgestorbene Tiere.
    Natürlich hat die Deutsche in Wirklichkeit viel kleinere Augen gehabt. Aber das ist es nicht gewesen. Irgend etwas hat den Brenner an ihren Augen gestört. Aber er hat sich jetzt gedacht, vielleicht ist es nur die Lebendigkeit im Vergleich zu den gläsernen Puppenaugen vorn Andi.
    Dann hat sie ihre Brille wieder aufgesetzt und leise gesagt:
    «Das würde euch so passen. Dem Lorenz den Mord an den Amerikanern in die Schuhe schieben.»
    «So sieht es jedenfalls die Polizei.»
    «Und wie sehen Sie es?»
    «Wie sehen denn Sie es?» fragt der Brenner. Aber nachgedacht hat er über etwas ganz anderes. Oder besser gesagt, nicht nachgedacht. Das mußt du dir vorstellen, wie wenn dir ein Wort auf der Zunge liegt. Und es fällt dir einfach nicht ein, obwohl du spürst, es liegt dir schon auf der Zunge. Nur daß es nicht ein Wort gewesen ist, nach dem der Brenner gesucht hat.
    Jetzt natürlich, das ist leicht gesagt, wie die Leute immer sagen: Nicht dran denken, dann fällt es dir ein. Weil wie sollst du nicht dran denken, wenn du es unbedingt wissen willst. Und dem Brenner ist es genauso gegangen, er hat gar nicht anders gekonnt, als ununterbrochen durch die dicken Bifokalgläser in die Augen der Deutschen zu starren.
    Aber nicht, daß du glaubst, es ist etwas Fremdes gewesen, das ihn so beschäftigt hat. Sondern etwas Vertrautes ist es gewesen. Das ihn so, wie soll ich sagen: beunruhigt hat. Oder soll
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