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Auferstehung der Toten

Auferstehung der Toten

Titel: Auferstehung der Toten
Autoren: Wolf Haas
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daß der Vergolder damals beleidigt gewesen ist. Wegen dieser Geschichte mit der Krankenschwester. Aber diese Schwester, auf die die Zeller Vormacher da angespielt haben –»
    «– natürlich keine Krankenschwester war. Sondern einfach eine Schwester», hat die Schwester vom Vergolder jetzt ganz ruhig ergänzt. Und dann hat sie gesagt:
    «Der Amerikaner hat mir eingetrichtert: Es muß genauso amüsant sein wie diese Geschichte damals mit der Schwester. Und wie sonst hätte ich es genauso amüsant machen sollen?»
    Jetzt ist der Brenner natürlich froh gewesen, daß er keine Antwort geben muß. Die handlose Schwester des Vergolders hat sich wieder auf ihren Platz gesetzt. Das Foto hat sie vor sich auf den gläsernen Couchtisch gelegt und es so versunken angeschaut, daß du geglaubt hast, sie sieht es zum erstenmal.
    «Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, wie viele schwermütige Menschen es in Zell gibt? Fast in jeder Familie gibt es einen Schwachsinnigen oder einen Schwermütigen. Und oft genug beides.»
    Oft einmal sagen die Leute: Es hat mir einen Stich gegeben, aber natürlich, sie sagen es nur so, und in Wirklichkeit meinen sie nur, daß sie erschrocken sind, keine Rede von einem Stich. Aber wenn dir der Doktor eine fette Spritze direkt in den Magen sticht, das fühlt sich ungefähr so an, wie es dem Brenner jetzt gegangen ist. Wie die handlose Schwester des Vergolders auf einmal ihr perfektes Hochdeutsch aufgegeben hat. Und statt dessen in ihren ausgestorbenen Dialekt voller altmodischer Wörter verfallen ist:
    «Viele Schwermütige.»
    Den Brenner hat das Wort schon ganz schwermütig gemacht.
    «Und viele Schwachsinnige. Zu viele Berge, zu enge Täler, zu kleine Dörfer. Wie ich schwanger geworden bin, bin ich zum Pfarrer gelaufen. Ein netter Pfarrer, der Pfarrer Reiter. Er hat gesagt: Zell war immer schon ein Inzestloch.»
    «Ihr Kind, das ist der Lorenz gewesen. Und Ihr Bruder, der Vergolder, ist der Vater vom Lorenz gewesen.»
    «Ich hätte ihn nicht Lorenz getauft. Aber bei der Taufe sind sie mich schon längst los gewesen.»
    «Aber früher hat man die Kinder doch sofort getauft, nur ein paar Tage nach der Geburt.»
    «Da sind sie mich schon los gewesen.»
    «Und Sie haben Ihr Kind nie mehr gesehen?»
    «Bis vor eineinhalb Jahren, wie ich zurückgekommen bin nach Zell. Da hab ich mich mit ihm angefreundet.»
    «Und dann haben Sie ihm Ihre Geschichte erzählt, und er hat sie nicht verkraftet und drei Menschen mit ins Grab genommen.»
    «Nichts hab ich ihm erzählt. Nur angefreundet, nichts erzählt. Der Lorenz hat nichts gewußt. Und umgebracht hat er auch keinen.»
    «Außer seinem Vater.»
    «Früher war das ganz normal.»
    «Daß einer seinen eigenen Vater angezündet hat?»
    «Das einzige, was nicht normal war, ist meine Liebe zu meinem Bruder gewesen. Daß er mich geschwängert hat, das war früher vielleicht auch nicht gerade normal, ist aber oft einmal vorgekommen. Aber ich natürlich. Habe ihn gleich lieben müssen. Er ist 24 gewesen und ich 17. Jung natürlich. Hab ich ihn gleich lieben müssen. Wie ich schwanger gewesen bin, hat er diese Amerikanerin kennengelernt. Wie das Kind da war, haben sie es mir weggenommen. Noch ein Bruder, der ist schon verheiratet gewesen. Der hat es genommen. Da bin ich davon. Aus dem Krankenhaus heim und gleich in der Nacht davon. Weil ich hab das Kind im Krankenhaus kriegen müssen, daheim keine Schande. Die Leute haben geglaubt, ich bin davon, weil ich ein lediges Kind heimgebracht habe. Haben sie geglaubt, ich bin in den See gegangen. Aber ich bin gar nicht in den See gegangen. Ich bin als Kellnerin nach Deutschland gegangen. Das war auch nicht viel besser. Hab mich vor den Zug gelegt. Aber dann im letzten Moment. Nur mit den Händen bin ich zu langsam gewesen.»
    «Und nach 50 Jahren kommen Sie zurück und sorgen dafür, daß Ihr Sohn seinen Vater umbringt.»
    «Er hat es ja nicht gewußt, daß es sein Vater ist. Und ich seine Mutter.»
    «Aber der Haß, den Sie ihm eingeredet haben, hat so auch ausgereicht.»
    «Der hat schon seinen eigenen Haß gehabt. Jedes Jahr ein Sparbuch. Sonst nur Verachtung. Ich habe dem Lorenz überhaupt nichts einreden müssen. Wir haben uns immer automatisch verstanden. Mutter und Sohn. Es hat sich alles von selbst ergeben.»
    «Und die Schecks hat er auch automatisch gefälscht?»
    «Das ist eine Dummheit gewesen vorn Lorenz. Unterschreibt der einfach die Schecks, statt daß er zu mir kommt, wenn er Geld braucht.»
    «Und die Elfi hat
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