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Auferstehung 2. Band (German Edition)

Auferstehung 2. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 2. Band (German Edition)
Autoren: Lew Tolstoi
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mein Töchterchen! Man lebt auch in Sibirien! Du wirst dort nicht umkommen!« erwiderte ihr die Korablewa, um sie zu trösten.
    »Ich weiß, daß ich nicht umkommen werde; aber die Schande! Ein solches Schicksal hatte ich nicht erwartet! Und dabei bin ich gewöhnt, im Luxus zu leben!«
    »Gegen Gott kann niemand,« fuhr die Korablewa seufzend fort. »Gegen ihn kann niemand.«
    »Das weiß ich, Tantchen, aber es ist doch trotzdem hart!«
    Sie schwiegen.
    Auch die Rothaarige konnte nicht schlafen.
    »Hör' nur, das ist die Lumpenliese!« fuhr die Korablewa nach kurzer Pause fort und machte ihre Nachbarin auf ein seltsames Geräusch aufmerksam, das vom anderen Ende des Saales bis zu ihnen drang.
    Das war die Rothaarige, die in ihrem Bette weinte. Sie weinte, weil man sie geschimpft, geschlagen und ihr den Branntwein verweigert hatte, den sie so sehnlichst zu haben wünschte. Sie weinte auch bei dem Gedanken, daß sie ihr ganzes Leben lang nur Schimpfworte, Spott, Demütigungen und Schläge bekommen hatte. Um sich zu trösten, wollte sie an ihre erste Liebe, an das Verhältnis denken, das sie einst mit einem jungen Arbeiter unterhalten; doch gleichzeitig, da sie an den Anfang dieser Liebe dachte, erinnerte sie sich auch, wie sie zu Ende gegangen war. Wieder sah sie die schreckliche Nacht vor sich, da ihr Geliebter ihr im Rausche aus Spaß Vitriol ins Gesicht geschleudert und ihr dann mit seinen Kameraden zugeschaut hatte, wie sie sich vor Schmerzen wand. Eine tiefe Traurigkeit hatte sich ihrer bemächtigt; und da sie glaubte, es höre sie niemand, so hatte sie zu weinen angefangen. Sie weinte, wie die Kinder, indem sie ihre salzigen Thränen hinunterschluckte.
    »Sie leidet!« sagte die Maslow.
    »Jeder hat sein Leid zu tragen,« versetzte die Alte und drehte sich von neuem um, um zu schlafen.

Neuntes Kapitel
    Als Nechludoff am nächsten Morgen erwachte, hatte er sofort die unklare Empfindung, es wäre ihm am vorigen Tage etwas passiert, etwas sehr Schönes und Bedeutendes. Dann wurden seine Erinnerungen klarer. »Katuscha, der Schwurgerichtshof!« Dazu der feste Entschluß, mit der Lüge ein Ende zu machen und von jetzt ab die ganze Wahrheit zu sagen.
    Infolge eines merkwürdigen Zufalles fand er unter seiner Post den so lange erwarteten Brief von Marie Wassiljewna, der verheirateten Frau, deren Geliebter er so lange gewesen war. Sie gab ihm seine Freiheit zurück und fügte die innigsten Glückwünsche für seine bevorstehende Heirat hinzu.
    »Meine Heirat,« sagte er sich lächelnd, »wie fern das liegt!«
    Dann erinnerte er sich an den Plan, den er am vorigen Tage gefaßt, dem Gatten seiner Geliebten alles zu sagen, ihn um Verzeihung zu bitten und sich ihm zu jeder Genugthuung, die er von ihm fordern würde, zur Verfügung zu stellen.
    Doch dieser schöne Plan schien ihm am Morgen nicht mehr so leicht ausführbar, wie am vorigen Tage. Warum sollte er einen Mann unglücklich machen, indem er ihm eine Wahrheit enthüllte, die ihm nur Schmerz verursachen konnte? »Wenn er mich danach fragt, so werde ich es ihm sagen, doch es ihm selbst vorher mitteilen: nein, das ist nicht nötig!«
    Ebenso undurchführbar erschien ihm nach längerer Ueberlegung sein Plan, Missy die ganze Wahrheit zu sagen. Auch hier lag kein Bedürfnis zum Sprechen vor, es hieß, sich unnütz demütigen. Bei ihr war es besser, sich auf Andeutungen zu beschränken, und Nechludoff beschloß an diesem Morgen, nicht mehr zu den Kortschagins zu gehen, außer, um ihnen den Grund seines Fernbleibens zu erklären, wenn sie ihn durchaus wissen wollten.
    Was dagegen sein Verhältnis zu Katuscha betraf, so meinte er, daß er sich hier nicht auf Andeutungen beschränken konnte. »Ich werde sie in ihrem Gefängnis aufsuchen, werde ihr alles sagen, sie um Verzeihung bitten und sie, wenn es sein muß, heiraten.«
    Der Gedanke, alles zur Beruhigung seines Gewissens zu opfern und im Notfalle Katuscha zu heiraten, gefiel ihm ebenso gut wie am vorigen Tage.
    Was schließlich die Geldfrage anbetraf, so beschloß er, sein Verhalten den Grundsätzen anzupassen, denen er hinsichtlich der Ungerechtigkeit des Grundeigentums Ausdruck verliehen. Wenn er auch nicht die Kraft hatte, sich seines ganzen Vermögens zu berauben, so wollte er doch wenigstens nur einen Teil behalten und sein Möglichstes thun, um gegen sich selbst und die andern aufrichtig zu sein.
    Seit langer Zeit hatte er sein Tagewerk nicht mit solcher Energie begonnen. Als Agrippina Petrowna seine Befehle im
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