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Auf einmal ist Hoffnung

Titel: Auf einmal ist Hoffnung
Autoren: Burk Michael
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wie um ihr Leben«, antwortete er in sich versunken, und gleich darauf wandte er sich drastisch überstürzt Jennifer zu: »Sie sind verbissen. Unbarmherzig zu sich selbst. Hungrig. Sind ständig im Training. Wahrscheinlich sogar im Schlaf. Sie wollen rücksichtslos nach oben. Mit aller Macht. Sie müssen es einfach, um zu existieren. Der Job ist für sie alles. Ohne Job gehen sie unter. Das wissen sie. Und dieses Wissen versetzt Berge. Dieses Muß. Das gnadenlose, kaltblütige Muß.« Er sah sie offen an und dämpfte seinen Ton. »Es ist dieses Muß, das dir fehlt.«
    »Ich trainiere genausoviel wie Patti, und ich verausgabe mich nicht weniger als Lauren oder Dorothy. Und ich will auch nach oben. Mit aller Macht.« Sie widersprach ihm leidenschaftlich.
    Er überlegte kurz und deutete auf die kniehohe hölzerne Kiste, in der alte Ballettschuhe aufbewahrt wurden und die auch als Sitzgelegenheit diente, »Setz dich.«
    Sie tat es zögernd und war abweisend. »Du wirfst mir vor, daß ich einen Vater habe, der mir meine Wohnung bezahlt und mir am liebsten die Met kaufen würde.«
    Er lehnte sich mit den Ellenbogen auf den Tisch. »Ich werfe dir nichts vor. Ich stelle nur fest. Die Großen in unserer Branche sind meistens aus den Slums gekommen.« Es klang sachlich.
    Sie hörte nicht hin. »Ich führe kein anderes Leben als Patti, Lauren oder Dorothy«, entgegnete sie aufgebracht, »ich bin bescheiden, hart gegen mich selbst und genauso wie die anderen ständig im Training. Ich wohne im Village, fahre mit dem Bus und der Subway, ernähre mich von Obst, Milch und Corn Fritters, und ein Job wäre für mich alles.«
    »Dein Muß ist nicht das Muß der anderen«, entgegnete er behutsam, wie um sie zu verteidigen, »aber du bist nicht nur durch deinen Vater abgesichert, sondern auch durch Patrick.«
    »Patrick wiegt keine Karriere auf.«
    »Hm.« Wieder dachte er kurz nach und sprach dann mehr zu sich selbst: »Ich will es dir anders erklären. Und du mußt mir glauben.«
    Sie hob träge den Kopf.
    Igor holte weit aus und sprach von sich. Ab und zu wurde er von einem der Trainierenden unterbrochen, die durch die offene Tür hereinschauten, ihn aber in Ruhe ließen, als sie erkannten, daß er mit Jennifer in ein Gespräch vertieft war.
    »Wenn es ums Tanzen ging, war ich ein Fanatiker. Dann interessierten mich weder die äußeren Umstände noch die härtesten Anforderungen. Meine Ausdauer war grenzenlos. Vielleicht, weil ich in die Wirren der Februar-Revolution hineingeboren wurde, die Zar Nikolaus stürzte und Alexander Kerenski nach oben brachte, als Leningrad noch Petersburg hieß.« Er hob lächelnd die Schultern. Es schien, als sei er auf einmal wieder zu Hause in Rußland.
    Eine Weile gab er sich stumm seiner Erinnerung hin. Erst Jennifers Frage brachte ihn wieder in die Gegenwart zurück. »Mit wieviel Jahren hast du angefangen zu tanzen?«
    Er überging es zunächst und antwortete: »Meine Eltern waren arm. Sehr arm sogar. Aber ein Onkel von mir war Logenschließer am Marinsky-Theater. Er hat mich einmal in eine Ballettaufführung hineingeschmuggelt. Diese Stunden haben mein Leben bestimmt.«
    »Wie alt warst du damals?« wiederholte sie ihre Frage.
    »Neun.«
    »Hast du da schon getanzt?« Sie war skeptisch.
    »Ja.«
    »Ernsthaft trainiert?«
    »Der Onkel machte es möglich. Ich besuchte die choreographische Schule und lernte bei Wladimirow die ersten Grundschritte. Battement tendu. Rond de jambe à terre. Trappe.«
    »Also warst du mir zwei Jahre voraus?« Sie wollte es nicht glauben.
    »Mein erstes Engagement bekam ich in Kiew. Da war ich fünfzehn. Ich mußte jede Rolle tanzen, die auf mich zukam. Den Neger in Scheherazade, den Sklaven in Pavillon d'Armide.«
    »Mit fünfzehn?«
    Er nickte flüchtig und fuhr fort: »Mitte der dreißiger Jahre kam die Europa-Tournee mit dem Kirow-Ballett. Und da beging ich den entscheidenden Fehler. Unser premier danseur fiel verletzt aus. Ich hielt mich für gut genug, für ihn einzuspringen.« Sein Blick lag nachdenklich auf Jennifer, als überlasse er ihr die Schlußfolgerung selbst.
    Sie verstand und senkte die Augen.
    Kurze Stille trat ein.
    »Es ist genau wie bei dir jetzt«, sagte er leise. »Die Engesiles fällt aus, und du glaubst, du könntest sie ersetzen. Nur weil du die Rolle der Chiarina wie im Schlaf beherrschst.«
    Trotz kam in ihr auf. Sie biß sich auf die Lippen.
    »Eine Phase zu früh nach vorne kann einen Tänzer um Jahre zurückwerfen«, sprach er ihre Gedanken
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