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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Autoren: Marcel Proust
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sondern envie ( Lust ). Vgl. Jean Santeuil [23], S. 216, 530, 694, 697, 875.
    Auch die folgende Passage über Robert de Montesquiou aus dem Saint-Simon-Pastiche ( Contre Sainte-Beuve [1], S. 52 – deutsch in Nachgeahmtes und Vermischtes [14], S. 74) erkennt man wohl erst beim Übersetzen als editorische Fehlleistung: »Cet homme d’un mérite si hors de pair, où le brillant ne nuisait pas au profond, cet homme qui a pu être dit délicieux, qui se faisait écouter pendant des heures avec amusement pour les autres comme pour lui-même, car il riait fort de ce qu’il disait comme s’il avait été à la fois l’auteur et le parleur, et avec profit pour eux, cet homme, avait un vice […].«
    Bei einigermaßen flüchtiger Lektüre überwindet man diese Passage ohne nennenswerte Schwierigkeiten. Tatsächlich ist keiner der französischen Herausgeber über die Stelle gestolpert. Versucht man aber, die Passage zu übersetzen, so stellt man fest, daß bei l’auteur et le parleur etwas nicht stimmen kann. Doch diesmal läßt uns die Bibliothèque Nationale im Stich, denn bei der fraglichen Stelle handelt es sich um einen Zusatz auf einem Exemplar der Druckfahnen, das sich nicht im Fonds Proust befindet. Des Rätsels Lösung findet sich im selben Band, in jener bekannten Passage nämlich ( Contre Sainte-Beuve [1], S. 136 – Nachgeahmtes und Vermischtes [14], S. 186), in der von Montesquious Sammlerleidenschaft, seinem Fetischismus, seiner Idolatrie die Rede ist: »Je goûte trop profondément et jusqu’à l’ivresse les spirituelles improvisations où le plaisir d’un genre particulierqu’il trouve à ces vénérations conduit et inspire notre idolâtre pour vouloir le chicaner là-dessus le moins du monde.
    Mais au plus vif de mon plaisir je me demande si l’incomparable causeur – et l’auditeur qui se laisse faire – ne pèchent pas également par insincérité […].«
    Die Situation ist in beiden Texten die gleiche: auf der einen Seite Montesquiou als causeur oder als parleur , auf der anderen derjenige, der ihm zuhört, l’auditeur . Und im ersten Beispiel ist Montesquiou offensichtlich beides: Er erzählt Witze und lacht dabei selbst, hört sich selbst zu; er ist nicht l’auteur et le parleur , sondern auditeur und parleur .
    Auch bei der Arbeit an den Bänden der Recherche , von der unterdessen immerhin mehrere textkritisch überprüfte Ausgaben vorliegen, mußten die Manuskripte in der Bibliothèque Nationale konsultiert werden, nicht nur zu den nachgelassenen Teilen von Prousts Roman, sondern auch beispielsweise zu jener Stelle aus »Combray«, die im Dezember 1912 dem Lektor der Nouvelle Revue Française ins Auge gesprungen ist und ihn bewogen hat, das Manuskript zurückzuschicken. In der Fassung jenes Typoskripts, das Proust 1912 mehreren Verlagen zur Prüfung vorgelegt hat, lautet die Stelle folgendermaßen (vgl. Unterwegs zu Swann [16], S. 78): »Je n’étais pas avec ma tante depuis cinq minutes, qu’elle me renvoyait par peur que je ne la fatigue. Elle tendait à mes lèvres son triste front pâle et fade sur lequel, à cette heure matinale elle n’avait pas encore arrangé ses faux cheveux, et où les vertèbres transparaissaient comme les pointes d’une couronne d’épines ou les grains d’un rosaire, et elle me disait: […].«
    Besagter Lektor (es handelt sich um André Gide) war über die Wirbel schockiert, die er auf der Stirn von Tante Léonie glaubte durchschimmern zu sehen. Wirbel um diese Wirbel hat es auch später immer wieder gegeben, und nach den neueren Ausgaben der Recherche zu schließen, ist man sich offenbar auch heute noch nicht darüber einig, was les vertèbres qui transparaissaient sur le front de tante Léonie eigentlich bedeutet und wie der korrekte Text lauten muß. Um zu verstehen, was gemeint ist, würde es jedoch genügen, vertèbres in der Bedeutung nicht von Wirbel , sondern übertragen von Stütze , Stützreifen für die Perücke und transparaître in der Bedeutung nicht von durchschimmern , sondern von sichtbar sein zu lesen. Die Entwürfe sowie Manuskript und Typoskript bestätigen diese Lektüre. Um die korrekte Edition des französischen Textes braucht sich der Herausgeber der Frankfurter Ausgabe glücklicherweise nicht zu kümmern; er kann es bei einer Anmerkung bewenden lassen.

    Im Vergleich jedoch zu den Problemen, die sich beim Übersetzen ergeben, ist die philologische Arbeit an der Textvorlage ein leichtes Hors d’Œuvre, eine Fingerübung. Der
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