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Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet

Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet

Titel: Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet
Autoren: Axel Petermann
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sie zusammengelebt, mit der sie sich ein gemeinsames Leben aufgebaut haben? Kann man den Worten von Tätern glauben, die vorgeben, aus Liebe getötet zu haben?
    Die Kriminalpsychologie lehrt uns etwas anderes: Die Tötung der (Ex-)Partnerin ist alles andere als ein Ausdruck romantischer Liebe. Das Motiv ist nahezu ausschließlich eine Zurückweisung seitens der Partnerin, sei es explizit durch eine vollzogene Trennung oder durch einen empfundenen Mangel an Respekt und Fürsorge. Zum emotionalen Cocktail eines solchen Motivs gehören Kränkung, Wut, Rache, Eifersucht, Macht sowie der Anspruch auf ausschließliche (sexuelle) Kontrolle der Frau. »Wenn ich dich nicht haben kann, dann soll dich auch kein anderer haben.« – »Wann die Beziehung zu Ende ist, entscheide ich!« Sätze wie diese sind es, die immer wieder das wahre Motiv der Täter enthüllen: Kontrolle bis zum bitteren Ende und um jeden Preis.
    Wie sieht es nun mit dem einen von zehn Fällen aus, in dem eine Frau ihren Partner tötet? Sind die Motive ähnlich?
    Ganz und gar nicht: Während Männer töten – so paradox es auch klingen mag –, um eine Trennung zu verhindern, töten Frauen, wenn sie kein anderes Mittel zur Trennung sehen.
    Nachdenklich sah ich mir die unscheinbare junge Frau in meinem Büro an. Dagmar Menzel: zweiundzwanzig Jahre alt, klein und dick, lange strähnige Haare. Schlabberpullover und Trainingshose, braune Socken und Schlappen – alles aus Polizeibeständen für vorläufig Festgenommene. Fünf Geschwister und Halbwaise, Analphabetin und Sonderschülerin. Aber war sie auch eine Mörderin, wie es in der gegen sie vorliegenden Anzeige hieß?
    Wenige Stunden zuvor war ich Dagmar Menzel das erste Mal begegnet – an einem Tatort, zu dem ich in den frühen Morgenstunden gerufen worden war, nachdem sie ihren Chef erdrosselt hatte. Horst Tafel: neunundsechzig Jahre alt, verwitwet, alleinstehend, wohlhabend, quallige Figur, Architekt und Alkoholiker. Als mein Blick an dem Morgen auf die Täterin fiel, wusste ich, dass ein Gespräch nicht sofort möglich war. Der starre, geistesabwesende Blick und die verlangsamte Sprache wiesen auf einen schockähnlichen Zustand hin. Meine Kollegen der Schutzpolizei stellten sie einem Rechtsmediziner vor, der ihr eine Blutprobe abnahm, sie auf Verletzungen untersuchte und trotz ihrer Verfassung ihre Haft-und Vernehmungsfähigkeit bescheinigte. Daraufhin wurde Dagmar Menzel in einer Zelle im Polizeipräsidium untergebracht, während ich mir den Tatort mit der Leiche und den Spuren ansah.
    Eine auf dem Boden liegende Obstschale, eine zersplitterte Flasche, umgefallene Gläser, zwei leere Literflaschen Wein, verrückte Möbel und überall Blut dokumentierten das Bild einer offensichtlich vollkommen aus dem Ruder gelaufenen Situation. Horst Tafel lag auf dem Fußboden im Wohnzimmer und war seit einigen Stunden tot, wie die ausgeprägte Leichenstarre und die Totenflecken zeigten. Der Tote wies erhebliche Kopfverletzungen auf und hatte ein kariertes Geschirrtuch eng um seinen Hals geschlungen. Er war mit weißer Rippunterwäsche und schwarzen Socken bekleidet; seine Unterhose war im Schrittbereich großflächig gelb von Urin. Auf dem Sofa lagen ein weißes Oberhemd und eine dunkelblaue Stoffhose – scheinbar hastig ausgezogen und achtlos auf einen Haufen geworfen.
    Bei der Vernehmung erzählte mir die geistig zurückgebliebene Dagmar Menzel, Horst Tafel habe sie als Haushälterin eingestellt und ihr ein Zimmer in seinem Haus gegeben. Diese Anerkennung ist für sie eine vollkommen neue Erfahrung. Sie dankt es ihm mit anhimmelnder Bewunderung. Bald ist sie seine Geliebte. Doch dann der schleichende Wandel des von ihr zunächst als väterliche Fürsorge empfundenen Verhaltens: Horst Tafel hatte anscheinend ihr Vertrauen sexuell ausgenutzt und sie nach und nach zu seiner »Sexsklavin« gemacht, die ihm immer zur Verfügung stehen musste.
    Die von mir festgestellten Spuren am Tatort passten zu dem Tathergang, wie Dagmar Menzel ihn schilderte:
    Als Horst Tafel am Tattag nach einem Trinkgelage wieder einmal von Dagmar Menzel Geschlechtsverkehr fordert, versucht sie sich den Annäherungsversuchen des betrunkenen Mannes zu entziehen. Doch er will ihre Weigerung nicht akzeptieren, fordert stattdessen sein vermeintliches Recht ein und macht Anstalten, seine Haushälterin zu vergewaltigen. Dagmar Menzel ist dieser Situation nicht gewachsen. Sie weiß nicht, wie sie sich verhalten soll. Nur eines weiß sie genau: Sex will
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