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Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet

Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet

Titel: Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet
Autoren: Axel Petermann
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Mark als Honorar und ein zusätzliches Trinkgeld von 200 Mark. Außerdem verwöhnt Uwe Gräfe die Frauen mit Geschenken: darunter Kaffee und Schokolade, aber auch Kühlschrank, Videorekorder und wertvoller Schmuck. Eine der Frauen berichtet: »Sex war für ihn nicht so wichtig, auch wenn er bis zu sechs Stunden blieb. Er wollte reden.« Dabei habe Uwe Gräfe auch von einem Bekannten erzählt, dass dessen Frau ein Kind erwarte und, Monate später, dass die Frau vermisst werde.
    Jede der beiden Frauen begreift schnell, dass ihr Freier eine enge Beziehung sucht, erkundigt er sich doch jeweils, ob sie ledig sei, und behauptet, sie nur dann weiter besuchen zu wollen: »Eine Familie möchte ich nicht zerstören.« Beide Frauen leben in festen Beziehungen, verhalten sich aber geschäftstüchtig und verschweigen ihre Partner. Uwe Gräfe zeigt Beharrlichkeit, lädt sie als Begleiterinnen für Empfänge, Bälle oder zum Essen ein. Als eine der Frauen tatsächlich auf seine Offerten eingeht, ihn ins Kino begleitet und auch seine Einladungen zum Essen annimmt, scheint Uwe Gräfe am Ziel zu sein. »Er hat mich gefragt, ob ich nicht mit der Prostitution aufhören möchte – schließlich habe er Geld genug.« Uwe Gräfe mietet in der Nähe von Bremen eine Wohnung an. Eine Woche nachdem er seine Familie als vermisst gemeldet hat, bekommt er die Wohnungsschlüssel und präsentiert der Frau das mögliche gemeinsame Zuhause.
    Als das Gericht nach dreiundzwanzig Verhandlungstagen das Urteil »lebenslänglich« wegen Totschlag in drei Fällen verkündete, waren für mich viele Fragen immer noch nicht geklärt. Hatte ihm seine Familie im Weg gestanden, um mit einer anderen Frau ein neues Leben beginnen zu können? Hatten bei dieser Vorstellung seine Phantasien immer mehr an Bedeutung gewonnen, wie er seine Familie verschwinden lassen könnte? Schizophren war er nach dem psychiatrischen Gutachten nicht. Warum hatte Uwe Gräfe also getötet? Und wer war dieser in seinem Verhalten so widersprüchliche und geheimnisvolle Mann? Die Antworten auf diese Fragen kann, wenn überhaupt, nur eine Person geben: Uwe Gräfe. Doch der schweigt – seit nahezu zwanzig Jahren.
    Ich weiß, dass ich über die Gründe nur spekulieren kann, doch vieles spricht dafür, dass Uwe Gräfe – salopp ausgedrückt – seine Familie schlicht loswerden wollte, weil sie der Umsetzung seiner offenbar höchst hartnäckigen Phantasien und seinem Traum von einem neuen Leben im Wege stand.
    Derartige Tötungsdelikte fallen nicht nur durch ihre besondere Psychodynamik aus der Reihe, sie sind – statistisch betrachtet – auch ausgesprochen selten. Hier gibt es keinen lange schwelenden Partnerschaftskonflikt, sondern nur das klare Kalkül des Täters, für den seine Partnerin oder seine Familie nichts anderes als ein Hindernis ist, das es zu eliminieren gilt. Solche Täter agieren eher wie »Auftragskiller« – scheinbar unbeteiligt, kalt planend, ganz auf die Beseitigung der Person ausgerichtet, die einem neuen Lebensentwurf im Wege steht.
    Jedenfalls deutet nichts darauf hin, dass Uwe Gräfe aus Enttäuschung, Wut oder Hass getötet hat. Ohne Frage ein Täterprofil, das aus der Rolle fällt.
    Ein in seiner Eitelkeit verletzter Narzisst, ein scheinbar betrogener Verlobter, ein vom Leben enttäuschter alter Mann, ein Schuld verlagernder brutaler Trinker, ein verzweifelter Erotomane, eine sexuell ausgebeutete Frau, eine vom Leben benachteiligte, alkoholkranke Prostituierte, ein unscheinbarer Familienvater mit Doppelleben – acht Berichte über acht Täter, deren Lebensgeschichten und Motive jeweils ein ebenso individuelles wie komplexes Bild zeichnen, dem die Kurzcharakterisierungen nicht gerecht werden. Und alle haben sie jemanden getötet, mit dem sie eine intime Beziehung hatten.
    Das Alter der Täter variiert von jung bis alt und liegt im Durchschnitt bei fünfunddreißig. Intimizide finden in allen Bevölkerungsgruppen statt – in gutbürgerlichen Partnerschaften ebenso wie im sozial schwachen Milieu. Was diese Täter eint, ist eine Art Sprachlosigkeit – die Partner sind es nicht gewohnt, über Probleme oder Gefühle zu reden. Konflikte stauen sich an, die Täter befinden sich in einer Art Tunnel, aus dem sie alleine nicht mehr herausfinden, bis dann über die Zeit die Entscheidung wächst, diesen unerträglichen Zustand durch die Tötung der Partnerin zu beenden. Denn eines darf nicht übersehen werden: Auch wenn es so aussieht, als wäre der Tatentschluss durch
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