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Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet

Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet

Titel: Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet
Autoren: Axel Petermann
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Vernehmung nach dem Sinn der Tat gefragt wurde, antwortete er nur: »Hab nicht groß überlegt, ging alles von allein. In mir war nur eine Wut wie selten. Hab Erna nur noch gehasst und deshalb immer wieder zugeschlagen. Diese Visage konnt’ ich nicht mehr sehen!«
    Das Schwurgericht verurteilte Bertold Heindel zu zehn Jahren Freiheitsstrafe wegen Totschlags und begründete das hohe Strafmaß mit der »besonders brutalen« Tatausführung. »Ihm war es gleichgültig, was mit der schwerverletzten Frau geschah. Er nahm ihren Tod in Kauf.«
    Bei einem ersten flüchtigen Blick in das schummrige Schlafzimmer deutete nichts darauf hin, dass hier erst vor wenigen Stunden ein Mensch getötet worden war: keine Leiche, kein Blut, keine Unordnung. Stattdessen nur absolute Ruhe und Ordnung. Mir kam es so vor, als wäre in dem Raum die Zeit stehen geblieben, fast erinnerte mich die Szenerie an ein in dunklen Farben gemaltes barockes Stillleben. Doch ein zweiter, genauerer Blick ließ schnell das scheinbar harmonische Bild schwinden.
    Hier war tatsächlich ein Verbrechen geschehen: Die Leiche von Sarah Klein – eine kleine, zartgliedrige Frau, knapp 50 Kilo schwer – lag auf dem Rücken in einem rustikalen Doppelbett aus Kiefernholz und war unter einer bis zum Hals reichenden goldbraun gemusterten Bettdecke fast vollständig verborgen. Eine gebügelte langärmelige, gelbe Bluse lag ausgebreitet auf der Bettdecke in Höhe des Oberkörpers der Toten. Sarah Kleins Kopf ruhte auf dem erhöhten Bettgestell des Fußendes. Ihr Gesicht war nicht zu erkennen, da es der Täter mit ihren langen aschblonden Haaren vorhanggleich abgedeckt hatte – wie um eine nicht wieder zu korrigierende Realität zu verschleiern. Am eigentlichen Kopfende waren drei Kopfkissen über die gesamte Breite des Bettes drapiert.
    Die schweren dunklen Vorhänge vor dem Fenster waren zugezogen. In einer Ecke spendete eine kleine Stehlampe schwaches Licht. Auf der rechten Seite des Zimmers stand an der Wand eine Kommode mit zugeschobenen Schubladen. Auf der Ablage ein Plüschtier, Kosmetikartikel und ein Blatt Schreibpapier. Das Kopfteil des Bettes war von einem Regalsystem umgeben. In den einzelnen Fächern standen ordentlich nebeneinander aufgereiht Kosmetika und diverser Nippes: Kerzenständer, Porzellanfiguren, Fläschchen, Dosen, Tuben.
    Als die Beamten des Erkennungsdienstes die Bluse und die Bettdecke von der Leiche genommen hatten, konnte ich mir die Tote genauer anschauen. Wieder ein ungewöhnlicher Anblick, denn was ich jetzt sah, erinnerte mich an eine aufgebahrte Tote in einem Bestattungsinstitut: Die vor der Brust verschränkten Arme ruhten auf einem hellblauen Badehandtuch, das ihren Körper von der Scham bis zum Hals verhüllte. Die blutverschmierten und von Messerstichen verletzten Hände konnte es dennoch nicht verbergen . Nach dem Hochnehmen des Badetuchs sah ich, dass Sarah Klein nur ein geknöpftes Hemd trug, das zudem bis zum Hals hochgeschoben war. In ihrem Herzbereich erkannte ich zahlreiche und deutlich unterblutete Stiche: insgesamt siebzehn. Die Verletzungen waren auf einen Bereich von circa zwanzig mal dreißig Zentimeter konzentriert und sehr gleichförmig angeordnet – so als hätten Opfer und Täter bei den Stichen ihre Positionen nicht verändert. Offenbar war Sarah Klein zu diesem Zeitpunkt nicht mehr handlungsfähig.
    Ich strich Sarah Klein die Haare aus dem Gesicht und zog das Hemd so weit herunter, bis ihr Hals frei lag. Trotz des schummrigen Lichtes konnte ich jetzt zahlreiche unterblutete Würgemale im Kehlkopfbereich sowie halbmondförmige Hautabschürfungen und Kratzer erkennen: Zeichen eines beidhändigen Würgens von vorne, bei dem die Fingernägel beider Daumen tief in die Haut eingedrungen waren.
    Ich rekonstruierte, dass der Täter Sarah Klein zunächst bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt und dann, ohne innezuhalten, der handlungs-und widerstandsunfähigen Frau in die Herzregion gestochen hatte. Sein Verhalten war in diesen Momenten von großer Erregung und Wut geprägt. Danach musste er die Lage der Frau im Bett verändert haben. An welcher Stelle Sarah Klein bei den ersten Stichen gelegen hatte, zeigte sich, als die Spurensucher die drei Kopfkissen von der Bettdecke nahmen: Darunter kamen eine große Blutlache und drei Einstiche im Bettlaken zum Vorschein.
    Nach der eigentlichen Tathandlung, dem Töten, wechselte jedoch die Stimmungslage des Täters: Ihn überfielen Schuldgefühle. In seiner plötzlichen Reue versuchte er,
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